Den letzten noch lebenden KZ-Wachleuten soll der Prozess gemacht werden. Im Fokus der Strafverfolger stehen 17 Verdächtige, denen der Vorwurf der Beihilfe zum Mord gemacht wird. Das gab kürzlich Oberstaatsanwalt Thomas Will bekannt, der die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg leitet.
Im Herbst sollen die Prozesse gegen zwei frühere KZ-Mitarbeiter beginnen. Vor dem LG Itzehoe in Schleswig-Holstein ist eine 96 Jahre alte Frau angeklagt, die als Sekretärin in einem Konzentrationslager tätig war. Und ein fast 101-jähriger früherer Wachmann aus dem KZ Sachsenhausen wird sich vor dem LG Neuruppin in Brandenburg verantworten müssen. Neun Verdachtsfälle würden von den Staatsanwaltschaften Erfurt, Weiden, Hamburg und Neuruppin sowie von der Generalstaatsanwaltschaft Celle bearbeitet, erklärte Will. Die Zentrale Stelle in Ludwigsburg führe außerdem Vorermittlungen in sechs weiteren Fällen.
Ein großes Problem für die jetzigen Strafverfahren ist das hohe Alter der Beschuldigten. Die Behörden stünden immer wieder vor der Frage der Verhandlungsfähigkeit, erklärte Will. Vor dem LG Wuppertal sei deshalb ein Prozess gescheitert; in einem anderen Fall sei festgelegt worden, dass ein Verhandlungstag längstens zweieinhalb Stunden dauern dürfe. Immer wieder müssten Ermittlungen auch eingestellt werden, weil Verdächtige zwischenzeitlich gestorben seien, zuletzt in einem Fall in Erfurt. Der Grund dafür, dass die Verfahren erst jetzt stattfinden, erklärte der Oberstaatsanwalt mit dem hohen Aufwand bei den Ermittlungen. So hätten die Ermittler Spuren etwa bis ins tschechische Militärarchiv in Prag und ins russische Militärarchiv in Moskau zurückverfolgt. Häufig würden bislang unbekannte, hilfreiche Dokumente auftauchen; so habe jüngst ein Historiker bei Recherchen wieder eine Liste mit Namen von Personal aus einem Kriegsgefangenenlager aufgetan und nach Ludwigsburg weitergeleitet.
Hinzu komme, dass die Wachleute bislang nicht derart stark im Fokus der Ermittler gestanden hätten wie andere Täter. Sie seien bei den NS-Prozessen in den 1960er und 1970er Jahren meist nur als Zeugen gehört worden, hätten aber nicht als Täter vor Gericht gestanden. Die Ermittler hätten sich seinerzeit gescheut, sie als potenzielle Beschuldigte zu belehren, weil befürchtet wurde, dass sie dann die Aussage verweigert hätten. Eine Kehrtwende sei erst mit dem Strafprozess gegen den Wachmann Demjanjuk vollzogen worden.
So wie Mord nach deutschem Recht seit 1979 nicht mehr verjähre, verjähre auch die Mord-Beihilfe nicht, erläuterte Will. Es komme darauf an, dass auch dem Personal in den Lagern die Kenntnis davon nachgewiesen werden könne, dass dort systematisch Morde begangen wurden bzw. dass die Häftlinge unterversorgt und dem Tode geweiht waren. Viel Zeit bleibt dafür angesichts des Alters der Beschuldigten nicht mehr.
[Red.]