a) Grundsatz
Nach Auffassung des BGH erfolgt die Ausübung des dem Rechtsanwalt gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bei der Bestimmung von Rahmengebühren eingeräumten Ermessens gem. § 315 Abs. 2 BGB durch Erklärung gegenüber dem Mandanten. Diese Erklärung könne beispielsweise durch Überlassung der Vergütungsberechnung erfolgen. Wenn der Rechtsanwalt seine Leistungsbestimmung wirksam getroffen habe, so sei hierdurch das punktuelle Leistungsbestimmungsrecht verbraucht (s. Staudinger/Rieble, BGB, 2020, § 315 Rn 300). In einem solchen Fall könne der Rechtsanwalt die Leistungsbestimmung nicht mehr ändern oder widerrufen. Nach Auffassung des BGH ist die Bestimmung auch für den Rechtsanwalt als Bestimmenden bindend.
b) Ausnahmen
Von diesem Grundsatz sieht der BGH drei Ausnahmen, bei deren Vorliegen der Rechtsanwalt ausnahmsweise doch seine ursprüngliche Bestimmung der Rahmengebühr ändern, insb. erhöhen kann (s. BGH NJW 1987, 3203; BGH AGS 2013, 410 = RVGreport 2013, 398 [Hansens] = zfs 2013, 584 m. Anm. Hansens; BGH AGS 2021, 262 [N. Schneider] = JurBüro 2021, 25).
aa) Rechtsanwalt hat sich Erhöhung vorbehalten
Der Rechtsanwalt hat sich eine Erhöhung ausdrücklich vorbehalten. Dem widerspricht N. Schneider (AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O., § 14 Rn 78 und NJW-Spezial 2014, 91), der eine Bestimmung einer Rahmengebühr unter Vorbehalt für unzulässig hält. Wenn der Rechtsanwalt sein Bestimmungsrecht noch nicht ausüben könne, weil die Sache noch nicht erledigt sei, dann könne er einen Vorschuss anfordern, der keine Bindungswirkung kennt. Wenn hingegen die abzurechende Sache erledigt sei, müsse der Rechtsanwalt die Bestimmung treffen, und zwar endgültig und verbindlich. Auf diese abweichende Auffassung ist der BGH hier nicht eingegangen. Die Argumentation Schneiders hat auch viel für sich. Ist die Vergütung fällig (§ 8 RVG), sind dem Rechtsanwalt grds. alle für die Gebührenbemessung maßgeblichen Umstände bekannt. Er kann und muss deshalb sein Bestimmungsrecht auf der Grundlage dieser Kenntnisse ausüben. Würde man dem Rechtsanwalt bei einem ausdrücklichen Vorbehalt einer Erhöhung die nachträgliche Änderung seiner Gebührenbestimmung gewähren, so wäre hierdurch der Grundsatz ausgehebelt, dass der Rechtsanwalt seine einmal getroffene Gebührenbestimmung nicht mehr ändern kann. Außerdem würde der Mandant bis zum Ende der Verjährungsfrist bei einer unter Vorbehalt der Erhöhung getroffenen Bestimmung des Rechtsanwalts jahrelang im Ungewissen bleiben, ob und ggf. welchen Gebührenbetrag der Rechtsanwalt noch nachfordert, wenn er seine ursprüngliche Bestimmung der Rahmengebühr abändert.
bb) Rechtsanwalt wurde über die Bemessungsgrundlage getäuscht
Als weiteren Ausnahmetatbestand sieht der BGH es an, wenn der Rechtsanwalt über die Bemessungsgrundlage getäuscht worden ist. Dies kann an sich lediglich die für die Bestimmung der Rahmengebühr auch maßgeblichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers betreffen. Den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kennt der Rechtsanwalt aus eigenem Erleben. Eine Täuschung des Mandanten hierüber ist kaum denkbar. Hat der Mandant seinem Rechtsanwalt vorgetäuscht, er lebe gerade über der Einkommensgrenze, die ihn zur Bewilligung von Beratungshilfe berechtigen würde, ist der Mandant tatsächlich jedoch Millionär, so kann die Unkenntnis von den überdurchschnittlichen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen des Mandanten den Rechtsanwalt zur Bestimmung einer zu niedrigen Rahmengebühr geführt haben. Auch dabei sind die praktischen Auswirkungen jedoch relativ gering. Hat der Rechtsanwalt nämlich die Schwellengebühr angesetzt, bei der Geschäftsgebühr nach Abs. 1 der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG also eine 1,3 Gebühr, kann er eine höhere Gebühr ohnehin nur fordern, wenn seine Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die ganz überragenden Vermögensverhältnisse des Mandanten führen bei nicht umfangreicher und nicht schwieriger Tätigkeit nicht zu einer Anhebung der Geschäftsgebühr über den Gebührensatz von 1,3 hinaus.
cc) Rechtsanwalt hat gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen
Schließlich führt der BGH als dritten Ausnahmetatbestand den Fall an, dass der Rechtsanwalt einen gesetzlichen Gebührentatbestand übersehen hat. Einen solchen Fall kann sich der Verf. bei der Abrechnung einer Betragsrahmengebühr kaum einmal vorstellen, jedenfalls nicht bei einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG. Der Rechtsanwalt weiß doch, dass er die Geschäftsgebühr abrechnet. Selbst wenn er einen anderen gesetzlichen Gebührentatbestand hierbei übersehen hätte, hat dies auf die Bestimmung des Gebührensatzes für die Geschäftsgebühr keinerlei Einfluss. Es gibt auch – innerhalb der Geschäftsgebühren – keinen Tatbestand, der einen höheren Gebührenrahmen, als in Nr. 2300 VV RVG mit 0,5 bis 2,5 vorgesehen ist, bestimmt. Es kommt auch nicht der umgekehrte Fall in Betracht, dass der Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr mit einem niedrigeren Gebührenrahmen als in Nr. 2300 VV RVG vorgesehen berechnet hat. Denkbar wäre lediglich der Fall, dass der Rechtsanwalt fälschlich der Annahme gewesen ist, sein Auftrag beschränke sich auf ein Schreiben einfacher Art. In diesem Fall beträgt der Gebührensatz der Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV R...