Der Kläger hatte vor dem LG Stuttgart gegen die beklagte Volkswagen AG Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. VW-Dieselskandal geltend gemacht und vorgetragen, er sei von der Beklagten durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung sittenwidrig geschädigt worden. Er hat vor dem LG Stuttgart – soweit hier von Interesse – beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn von vorgerichtlichen Anwaltskosten, berechnet auf der Grundlage einer 2,0 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG freizustellen. Das LG Stuttgart hat die Beklagte zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten, jedoch berechnet nur auf der Grundlage einer 1,3 Geschäftsgebühr, verurteilt und die Klage i.Ü. abgewiesen.
Die Beklagte hat hiergegen Berufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung eingereicht. Mit seiner Anschlussberufung hat sich der Kläger gegen die Absetzung eines Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten gewandt. Das OLG Stuttgart hat die Berufungen zurückgewiesen
Das OLG Stuttgart hat die Auffassung vertreten, die Tätigkeit des Rechtsanwalts des Klägers sei nicht umfangreich und/oder schwierig i.S.v. Abs. 1 der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG gewesen. Hierbei hat das OLG Stuttgart entscheidend darauf abgestellt, dass der betreffende Rechtsanwalt in einer Vielzahl von sog. Dieselfällen tätig geworden ist und damit aufgrund des „Aspektes der Rationalisierung” oder des Synergieeffekts die Bewältigung der Angelegenheit des Klägers nicht (mehr) umfangreich oder schwierig war. Der BGH (Urt. v. 10.5.2022 – VI ZR 156/20, a.a.O.) hat die Auffassung des OLG Stuttgart geteilt.
a) Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten
Das OLG Stuttgart und dem folgend der BGH sind zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gem. §§ 826, 249 BGB hat. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien Bestandteil des infolge einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Schädiger zu erstattenden Schadens. Dabei hat der Schädiger dem Geschädigten jedoch nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Anwaltskosten zu ersetzen. Zu ersetzen sind lediglich die Anwaltskosten, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH RVGreport 2015, 68 Hansens = AGS 2015, 97; BGH zfs 2016, 44 m. Anm. Hansens = AGS 2015, 589 m. Anm. Schons = RVGreport 2016, 25 [ders.]).
b) Bei der Gebührenbestimmung zu berücksichtigende Umstände
Hinsichtlich des den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit betreffenden zeitlichen Aufwands des Rechtsanwalts des Klägers ist das OLG Stuttgart und dem folgend der BGH von keiner umfangreichen Anwaltstätigkeit ausgegangen. Die vorgerichtliche Tätigkeit der Rechtsanwälte des Klägers möge zwar Kenntnisse der technischen Grundfunktion eines Dieselmotors voraussetzen, die ein durchschnittlicher Rechtsanwalt regelmäßig nicht habe. Dies habe eine erhebliche Einarbeitungszeit in die Materie erfordert. Nach Auffassung des OLG Stuttgart war dem jedoch gegenüberzustellen, dass die Einarbeitungszeit aus einer Vielzahl von im Wesentlichen gleich gelagerten Fällen, die die Rechtsanwälte des Klägers betreut haben, nicht allein auf den vorliegenden Fall bezogen waren, sondern sich auf eine erhebliche Vielzahl von Fällen ausgewirkt habe. Deshalb sei die – möglicherweise umfangreiche tatsächliche Einarbeitungszeit auf diese Vielzahl von Fällen umzurechnen und zu beschränken. Das OLG Stuttgart hat den Anwälten des Klägers zugestanden, dass sie eine nicht unerhebliche Einarbeitungszeit aufgewandt hätten. Diese sei jedoch nicht auf den vorliegenden Fall bezogen. Die auf den Einzelfall umzurechnende tatsächliche Einarbeitungszeit habe sich nicht so ausgewirkt, dass sie in der betreffenden Angelegenheit selbst überdurchschnittlich gewesen wäre.
Dieselbe Argumentation hat das OLG Stuttgart für die rechtliche Einarbeitung in den Fall vorgebracht. Die rechtlichen Fragestellungen für die im sog. Dieselskandal zu behandelnden Fälle seien nahezu identisch gewesen. Die rechtliche Einarbeitung in die Besonderheiten der Fälle mag – so das OLG Stuttgart – erheblichen zeitlichen Aufwand in Anspruch genommen haben. Umgerechnet auf den einzelnen und damit auch auf den vorliegenden Fall sei der erforderliche Aufwand jedoch nicht entscheidend ins Gewicht gefallen.
Nach den weiteren Ausführungen des OLG Stuttgart war die anwaltliche Tätigkeit der Rechtsanwälte der Kläger auch nicht schwierig. Die Einarbeitung in die technischen Fragen der den sog. Dieselskandal betreffenden Verfahren sei möglicherweise zeitintensiv gewesen. In tatsächlicher Hinsicht sei dies jedoch nicht schwierig gewesen. Dies hat das OLG Stuttgart aus dem Aufbau, der Struktur und dem Inhalt der Klageschrift gefolgert. Darin hatten die Rechtsanwälte des Klägers auf eine Vielzahl von Dokumentationen, Veröffentlichungen und Mitteilungen verwiesen. Folglich sei in tatsächlicher Hinsicht von einem im Wesentlichen aufbereiteten Sachverhalt auszugehen, der letztlich nur noch auf das konkrete Verfahren habe übertragen werden müssen.
Auch die rechtlich...