Der BGH hatte sich in zwei Verfahren mit der Fragestellung zu beschäftigen, ob den Anbieter eines sozialen Netzwerks (hier: Facebook) die Pflicht trifft, Nutzern die Nutzung des Netzwerks unter Verwendung eines Pseudonyms zu ermöglichen. Die beiden Verfahren wurden bei dem BGH unter den Aktenzeichen III ZR 3/21 und III ZR 4/21 geführt.
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Zum Verfahren unter dem Az. III ZR 3/21 |
Der Kläger hatte ein Nutzerkonto bei einem von der Muttergesellschaft der Beklagten betriebenen weltweiten sozialen Netzwerk unterhalten. Anbieter und Vertragspartner für Nutzer mit Sitz in Deutschland war die Beklagte gewesen. Der Kläger hatte ursprünglich als seinen Profilnamen ein Pseudonym verwendet. Die Beklagte hatte im März 2018 bei dem Kläger nachgefragt, ob es sich bei dem Pseudonym um seinen im Alltag verwendeten Namen handele. Da der Kläger dies nicht bestätigt hatte, hatte die Beklagte sein Nutzerkonto gesperrt und erst nach Änderung des Profilnamens wieder freigeschaltet. Der Kläger hatte daraufhin die Beklagte u.a. auf Unterlassung in Anspruch genommen, Änderungen seines Profilnamens vorzunehmen. Das LG Traunstein hatte die Klage abgewiesen (Urt. v. 2.5.2019 – 8 O 3510/18). Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers war vom OLG München zurückgewiesen worden (Urt. v. 8.12.2020 – 18 U 28822/19). Der BGH hat in seinem Urt. v. 27.1.2022 – III ZR 3/21 – das Berufungsurteil teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt,
Zitat
„es zu dulden, dass der Kläger seinen Profilnamen für sein unter dem Profil https://www.f ... com/g ... angelegtes Nutzerkonto in ein Pseudonym ändert, und dem Kläger unter Verwendung des gewählten Profilnamens Zugriff auf die Funktionen dieses Kontos zu gewähren”.
Der BGH hat seine Entscheidung auf der Grundlage der Nutzungsbedingungen des sozialen Netzwerks in der Fassung vom 19.4.2018, deren Geltung der Kläger am 30.4.2018 zugestimmt hatte, getroffen. Hiernach hat der Kontoinhaber bei der Nutzung des Netzwerks den Namen zu verwenden, den er auch im täglichen Leben verwendet (Nr. 3.1: „Denselben Namen verwenden, den du auch im täglichen Leben verwendest.”). Der BGH ist der Ansicht, dass diese Bestimmung unwirksam ist, weil sie den Kläger zum Zeitpunkt der Einbeziehung der Nutzungsbedingungen in den Nutzungsvertrag am 30.4.2018 entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige (§ 307 BGB). Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB sei eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sei. Nummer 3.1 der Nutzungsbedingungen der Beklagten sei mit dem in § 13 Abs. 6 S. 1 TMG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass der Diensteanbieter die Nutzung der Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, nicht zu vereinbaren. Zeitlicher Bezugspunkt für die Frage, ob eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gem. §§ 307 ff. BGB unwirksam ist, sei im Individualprozess – wie hier – der Zeitpunkt, zu dem die Bestimmung in den jeweiligen Vertrag einbezogen werde (hier: 30.4.2018). Sofern der Vertragspartner des Verwenders durch die Bestimmung zu diesem Zeitpunkt unangemessen benachteiligt worden sei, sei sie von Anfang an als unwirksam anzusehen und könne – ohne neue Einbeziehung in den Vertrag nach einer Gesetzesänderung – nicht nachträglich Wirksamkeit erlangen. § 13 Abs. 6 S. 1 TMG in der bis zum 30.11.2021 geltenden Fassung sei auch mit den Vorgaben der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie) vereinbar.
Da für diese Entscheidung die Rechtslage zum Zeitpunkt der Zustimmung zu den (geänderten) AGB am 30.4.2018 maßgeblich war, waren die Vorgaben der seit dem 25.5.2018 anzuwendenden EU-DSGVO nicht relevant und damit nicht zu berücksichtigen. Ferner ist die Regelung des § 13 TMG, die „Pflichten des Diensteanbieters” regelte, mit Wirkung zum 30.11.2021 aufgehoben worden. Die in § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. enthaltene Regelung befindet sich nun in § 19 Abs. 2 TTDSG. Die bisherige Regelung wurde wortlaut-identisch übernommen, sodass die in dem BGH-Urteil enthaltenen Wertungen zu § 13 Abs. 6 S. 1 TMG a.F. auch auf § 19 Abs. 2 TTDSG Anwendung finden könnten. Dies musste der BGH aber nicht entscheiden, da es auf die Rechtslage am 30.4.2018 ankam.
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Zum Verfahren unter dem Az. III ZR 4/21 |
In diesem Verfahren hatte die dortige Klägerin ein Nutzerkonto bei demselben Netzwerk (wie im Fall vorstehend Ziffer 1) unterhalten. Auch diese Klägerin hatte als Profilnamen ein Pseudonym angegeben. Nachdem die Klägerin der Aufforderung ihren Profilnamen zu ändern, nicht nachgekommen war, hatte die Beklagte das Nutzerkonto im Januar 2018 gesperrt. Die Klägerin hatte die Aufhebung dieser Sperrung begehrt. Das LG Ingolstadt (Urt. v. 13.9.2019 – 31 O 227/18) hatte die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, das Nutzerkonto der Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkte...