1. Neuregelung
Hintergrund für die Änderung des § 81a Abs. 2 StPO ist die Rechtsprechung des BVerfG zum Richtervorbehalt auch bei Blutentnahmen (BVerfG NJW 2007, 1345 = VRR 2007, 150 = StRR 2007, 103; vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2015, Rn 1170 ff. [im Folgenden Burhoff, EV]; Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 3191 [im Folgenden Burhoff/Bearbeiter, OWi]) und die darauf aufbauenden weiteren Entscheidungen des BVerfG sowie die folgende Rechtsprechung der OLG. Diese haben vor allem bei Verkehrsstraftaten in der Praxis der Strafverfolgung zu erheblichen Problemen bei den Strafverfolgungsbehörden geführt. Der Gesetzgeber hat daher – folgend auch dem Vorschlag der vom BMJV eingesetzten Expertenkommission (vgl. auch Burhoff, StPO 2017, Rn 14) – § 81a Abs. 2 StPO geändert.
In § 81a Abs. 2 S. 2 StPO n.F. heißt es, dass die Entnahme einer Blutprobe "abweichend von Satz 1 keiner richterlichen Anordnung [bedarf], wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat nach § 315a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3, § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 und 3 oder § 316 StGB begangen worden ist."
2. Sachlicher Geltungsbereich
Im Strafverfahren werden von der Neuregelung die Straftaten nach § 315a Abs. 1 Nr. 1 Nr. 1 StGB (Gefährdung des Bahn-, Schiffs- und Luftverkehrs durch Trunkenheit), nach § 315c Abs. 1. Nr. 1 Buchst. a StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit) und nach § 316 StGB (Trunkenheitsfahrt) erfasst. Die Neuregelung gilt nicht für den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b StGB. Durch die Aufnahme der Absätze 2 und 3 bei den §§ 315a, 315c StGB und des gesamten § 316 StGB ist klargestellt, dass sowohl die Begehungsformen des Vorsatzes als auch der Fahrlässigkeit und des Versuchs erfasst werden.
Im Bußgeldverfahren werden die Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 24a und 24c StVG erfasst. Das sind die Trunkenheitsfahrten nach § 24a Abs. 1 StVG, Drogenfahrten nach § 24 Abs. 2 StVG und die Verstöße gegen § 24c StVG (Absolutes Alkoholverbot für Fahranfänger).
Hinweis:
Der Sinn und Zweck der Neuregelung führt dazu, dass diese Einschränkung nur für Verkehrsstraftaten gilt. Treffen damit andere als die in § 81a Abs. 2 S. 2 StPO genannten Straftaten zusammen, ist die Vorschrift nicht anwendbar. Die teilweise von Staatsanwaltschaften bereits vorgenommene andere Auslegung ist falsch und geht an Sinn und Zweck der neuen Vorschrift vorbei.
3. Anordnungskompetenz
In den in o.g. Fällen (II. 2.) bedarf die Anordnung einer Blutentnahme nicht mehr vorrangig einer richterlichen Anordnung, sondern kann von der Staatsanwaltschaft bzw. Verfolgungsbehörde oder ihren Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) angeordnet werden. Die Anordnung durch Staatsanwaltschaft/Polizei ist auch nicht vom Vorliegen einer "Gefahr im Verzug" abhängig.
Die Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks 18/12785, S. 51) sprechen ausdrücklich davon, dass von einer "grundsätzlich gleichrangigen Anordnungskompetenz" von Staatsanwaltschaft/Verfolgungsbehörde und Polizei auszugehen ist (vgl. dazu BVerfG NJW 2010, 2864 = StraFo 2010, 286 = VRR 2010, 307 = StRR 2010, 302 = zfs 2010, 525; OLG Schleswig NStZ 2004, 55; s. aber OLG Brandenburg VA 2009, 84 = VRR 2009, 151 = StRR 2009, 143; OLG Celle NZV 2010, 362 = VRS 118, 204 = DAR 2010, 392). Das bedeutet: Vor Anordnung der Blutentnahme muss die Polizei, wenn die Voraussetzungen der § 81a Abs. 2 S. 2 StPO; § 46 Abs. 4 S. 2 OWiG gegeben sind, keine Entscheidung der Staatsanwaltschaft oder der Verfolgungsbehörde einholen.
Der Staatsanwaltschaft ist es allerdings unbenommen, "in Ausübung ihrer Sachleitungsbefugnis generalisierende Vorgaben zu machen, Fallgruppen zu bilden oder sich die Entscheidung im Einzelfall gänzlich vorzubehalten" (vgl. BT-Drucks 18/12785, S. 51; Burhoff, StPO 2017, Rn 19).
Hinweis:
Werden solche Vorgaben gemacht, besteht ein Anspruch des Verteidigers auf
- Auskunft, ob und ggf. welche solcher "Handlungsanleitungen" der Staatsanwaltschaft oder Verfolgungsbehörde existieren,
- Einsicht in hiernach vorhandene "Handlungsanleitungen", um prüfen zu können, ob diese von der Polizei bei der Anordnung der Blutentnahme beachtet worden sind.
4. Materiell-rechtliche Voraussetzungen
a) Bestimmte Tatsachen
Der Begriff der "bestimmten Tatsachen" in §§ 81a Abs. 2 S. 2, 46 Abs. 4 S. 2 OWiG entspricht dem in § 112 Abs. 2 StPO beim Tatverdacht und den Haftgründen betreffend einen Haftbefehl verwendeten Begriff. Daher kann auf die dazu vorliegende Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden (vgl. Burhoff, EV, Rn 3708 f., 3720 ff., jeweils m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 112 Rn 7, 15 [im Folgenden ku...