Änderungen im Überblick:
- Norm: § 163 Abs. 3 bis 7 StPO
- Sachlicher Geltungsbereich: Polizeiliche Vernehmungen
- Verteidigerstrategie: Mandanten ggf. zur Vernehmung begleiten
1. Generelle Erscheinenspflicht von Zeugen
a) Allgemeines
In § 163 StPO ist durch die neuen Absätze 3 bis 7 eine generelle Erscheinenspflicht des Zeugen für polizeiliche Vernehmungen eingeführt worden. Bislang waren Zeugen nur verpflichtet, auf Ladung der Staatsanwaltschaft oder des Richters zur Vernehmung zu erscheinen (zum Gesetzgebungsverfahren und zur Kritik an der Neuregelung Burhoff, StPO 2017, Rn 147 f.). Nach dem neuen § 163 Abs. 3 StPO müssen Zeugen nun generell auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft erscheinen und zur Sache aussagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Die Erscheinens- und Aussagepflicht von Zeugen vor der Polizei ist also von einer vorherigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft abhängig (vgl. dazu VI. 1. b; s. auch Burhoff, StPO 2017, Rn 156 ff.). Der Wortlaut des § 163 Abs. 3 S. 1 StPO ist "offen". Er bestimmt nicht, wer zur (polizeilichen) Vernehmung laden muss. Das bedeutet, dass die Ladung zur Zeugenvernehmung vor eine Ermittlungsperson auch durch die Staatsanwaltschaft erfolgen kann (BT-Drucks 18/11277, S. 30).
Nach § 163 Abs. 3 S. 1 StPO sind Zeugen verpflichtet, "auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen". Diese unglückliche Formulierung kann bei dem unbefangenen Leser/Empfänger einer Ladung zur Vernehmung den Eindruck erwecken, er sei nicht nur zum Erscheinen, sondern – unabhängig von ggf. bestehenden Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechten (§§ 52, 53, 55 StPO) – auch zur Aussage verpflichtet. Das ist natürlich – ebenso wie bei der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung – nicht der Fall. Denn es ist allgemein für § 161a Abs. 1 S. 1 StPO anerkannt, dass sich die Formulierung – "Klausel" (Meyer-Goßner/Schmitt, § 161a Rn 2) – nur auf die Pflicht zum Erscheinen bezieht und nicht auch auf die Aussagepflicht. Entsprechendes gilt für den neuen § 163 Abs. 3 S. 1 StPO.
b) Auftrag/vorherige Entscheidung der Staatsanwaltschaft
§ 163 Abs. 3 S. 1 StPO verlangt ausdrücklich, dass der Ladung "ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt". Diese Formulierung erfasst aber nicht nur einen einzelfallbezogenen Auftrag, sondern auch eine oder generelle Ermächtigung(en) der Staatsanwaltschaft für die Polizei zur Ladung und Durchführung von polizeilichen Vernehmungen (vgl. auch DAV Stellungnahme 40/16, S. 7 sowie den Bericht der Expertenkommission, S. 57, 59, der einen "einzelfallbezogenen Auftrag" der Staatsanwaltschaft gefordert hatte). Eine solche generelle "Ladungsermächtigung" der Polizei ist jedoch im Grunde genommen mit der Leitungsfunktion der Staatsanwaltschaft kaum zu vereinbaren, da die Staatsanwaltschaft ein wesentliches Instrument der Ermittlungen, nämlich die Zeugenvernehmung, von vornherein aus ihren Händen in die der Polizei gibt.
Sieht man "generalisierende Vorgaben/Aufträge" als zulässig an, wird man zumindest fordern müssen, dass die Staatsanwaltschaft in Ausübung ihrer Sachleitungsbefugnis Fall- bzw. Deliktsgruppen bildet, in denen die "Ladungsermächtigung" generell auf die Polizei übertragen wird, z.B. alle Ladendiebstähle (§§ 242, 248a StGB), alle Leistungserschleichungen (§ 265a StGB) usw., oder sich die Entscheidung im Einzelfall, z.B. ab einer bestimmten Schadenssumme oder für bestimmte Deliktsgruppen, gänzlich vorbehält (vgl. auch BT-Drucks 18/12785, S. 51 und II. 3 zur ähnlichen Fallgestaltung bei der Änderung des § 81a StPO).
Hinweise:
Werden solche "allgemeinen Ladungsermächtigungen" von der Staatsanwaltschaft erlassen, besteht m.E. – wie bei § 81a StPO (vgl. II. 3.) – ein Anspruch des Zeugen bzw. seines Zeugenbeistands auf
- Auskunft, ob solche – und ggf. welche – "Ermächtigungen" der Staatsanwaltschaft existieren,
- Einsicht in hiernach vorhandene "Ermächtigungen", um prüfen zu können, ob diese von der Polizei bei der Ladung beachtet worden sind.
Anders kann auch in diesen Fällen nicht geprüft werden, ob ein "Auftrag" der Staatsanwaltschaft vorgelegen hat.
c) Ladung
Aufgrund der Verweisung in § 163 Abs. 3 S. 2 StPO sind die Vorschriften des "Sechsten Abschnitts des ersten Buches" der StPO entsprechend anwendbar. Anwendbar ist daher für die Ladung des Zeugen z.B. § 48 Abs. 2 StPO. Eine besondere Form ist für die Ladung nicht vorgesehen, der Zeuge kann also auch mündlich geladen werden. Auch Ladungsfristen bestehen nicht. Das bedeutet, dass der Zeuge zum sofortigen Erscheinen aufgefordert werden kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn 1b). Damit wird das sich aus § 68b StPO ergebende Recht des Zeugen, gem. § 68b Abs. 2 StPO einen Zeugenbeistand beizuziehen, ggf. beeinträchtigt, wenn nicht sogar, nämlich bei sehr kurzfristigen Ladungen, unmöglich gemacht. Inhaltlich muss der Ladung – auch der mündlichen – entnommen werden können, dass der Geladene als Zeuge geladen wird. Der Zeuge ist nicht nur über die Folgen seines Ausbleibens (§§ 51, 70 StPO) zu belehren, sondern nach § 48 Abs. 2 StPO auch über seine Rechte, wie z.B. über da...