I. Vorbemerkung
1. Gesetzgebungsverfahren
Schon seit Längerem war eine "Reform" der StPO im Gespräch, und im September 2014 hatte das BMJV eine Expertenkommission eingesetzt, die im Oktober 2015 ihren Abschlussbericht dazu vorgelegt hat, der u.a. Grundlage für den "Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" (BT-Drucks 18/11277) war. Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist dieser mit dem "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze" (BT-Drucks 18/11272), der u.a. Änderungen des § 81a Abs. 2 StPO in Form der Abschaffung des Richtervorbehalts bei bestimmten Delikten (vgl. dazu II.) enthalten hatte, zusammengefasst worden. Im Gesetzgebungsverfahren ist weiter noch die Neuregelung zur sog. Online-Durchsuchung (§ 100b StPO; dazu VII. 4.), zur Quellen-TKÜ und zum sog. Staatstrojaner (§ 100a Abs. 1 S. 2 und 3 StPO; dazu VII. 3.) aufgenommen worden (wegen weiterer Einzelheiten s. Burhoff, Effektivere und praxistauglichere Ausgestaltung des Strafverfahrens? Die Änderungen in der StPO 2017 – ein erster Überblick, Rn 1 ff. [im Folgenden kurz Burhoff, StPO 2017]). Durch das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" v. 27.8.2017 (BGBl I, S. 3295) sind schließlich die Anwesenheitsrechte des Verteidigers im Ermittlungsverfahren erweitert worden (vgl. VIII).
Hinweise:
- Das "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" vom 17.8.2017 (im Folgenden kurz: Gesetz) ist nach Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes im Wesentlichen am 24.8.2017 in Kraft getreten (BGBl I, S. 3202). Das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" v. 27.8.2017 (BGBl I, S. 3295) ist am 5.9.2017 in Kraft getreten. Da es sich um Verfahrensrecht handelt, sind die Neuregelungen in allen bereits laufenden Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden.
- Die neue Vorschrift des § 136 Abs. 4 StPO (vgl. IV.) tritt nach Art. 18 Abs. 2 des Gesetzes erst am 1.1.2020 in Kraft. Damit soll den Polizeibehörden ausreichend Gelegenheit gegeben werden, die technischen Voraussetzungen für die audiovisuelle Vernehmung des Beschuldigten zu schaffen.
Der Beitrag gibt in vorliegendem ersten Teil einen Überblick über die wichtigsten Änderungen im Ermittlungsverfahren (vgl. im Übrigen Burhoff, StPO 2017, Rn 14 ff.) sowie zu den Änderungen durch das "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" v. 27.8.2017 (BGBl I, S. 3295, BT-Drucks 18/9534; s. unten VIII.). In einem zweiten Teil werden zu einem späteren Zeitpunkt in der ZAP die wichtigsten Änderungen in der Hauptverhandlung vorgestellt.
2. Wesentlicher Inhalt der Neuregelung
Folgende Punkte sollten das Ermittlungsverfahren effektiver und praxistauglicher machen:
Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung, und zwar
- Einführung der Pflicht für Zeugen, im Ermittlungsverfahren bei der Polizei zu erscheinen (vgl. VI.),
- Konzentration der Zuständigkeit für die Bestellung von Pflichtverteidigern im Ermittlungsverfahren beim Ermittlungsrichter (vgl. § 141 Abs. 4 StPO) und
- Ergänzung des Katalogs der Privatklagedelikte in § 347 Abs. 1 Nr. 5 StPO um die Nötigung (§ 240 StGB).
Verbesserung der Dokumentation des Ermittlungsverfahrens
- durch die Erweiterung der Möglichkeiten für die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren (vgl. IV.),
- damit korrespondierend die Erweiterung des § 254 StPO dahingehend, dass die audiovisuelle Aufzeichnung einer Beschuldigtenvernehmung unter denselben Voraussetzungen in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann wie schriftliche Protokolle richterlicher Beschuldigtenvernehmungen (vgl. dazu Teil 2).
- Stärkung der Beschuldigtenrechte durch die Pflicht zur Bestellung eines Pflichtverteidigers durch das Gericht, bei dem eine richterliche Vernehmung durchzuführen ist, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt oder wenn dessen Mitwirkung aufgrund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint (vgl. V.).
- Klarstellung und Konkretisierung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörde im Ermittlungsverfahren durch die Anpassungen der §§ 81e, 81h StPO, um die Erfassung von DNA-Beinahetreffer bei der DNA-Reihenuntersuchung zu ermöglichen (vgl. VII. 1. u. 2.).
II. Einschränkung des Richtervorbehalts
1. Neuregelung
Hintergrund für die Änderung des § 81a Abs. 2 StPO ist die Rechtsprechung des BVerfG zum Richtervorbehalt auch bei Blutentnahmen (BVerfG NJW 2007, 1345 = VRR 2007, 150 = StRR 2007, 103; vgl. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2015, Rn 1170 ff. [im Folgenden ...