I. Vorbemerkung
Der Elternunterhalt nimmt in der Praxis eine immer bedeutsamere Rolle ein. Denn die demografische Entwicklung ist eindeutig: Die Bevölkerung wird älter, eine steigende Zahl von Seniorinnen und Senioren lebt in Alters- und Pflegeheimen. Da die eigene Rente in aller Regel nicht ausreicht, die Kosten zu decken, müssen die Sozialämter einspringen. Diese versuchen, das Geld von den unterhaltspflichtigen Kindern oder noch vom außerhalb des Heimes lebenden Ehegatten zurückzuholen. Zu dieser Thematik sind einige für die praktische Behandlung der Fälle bedeutsame Entscheidungen des BGH ergangen.
II. Gesetzliche Voraussetzungen des Anspruchs auf Elternunterhalt
Verwandte in gerader Linie – also Eltern und Kinder – sind wechselseitig verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren (§ 1601 BGB). Die Unterhaltsverpflichtung trifft also nicht nur die Eltern gegenüber ihren – minderjährigen und volljährigen – Kindern (s. dazu Viefhues ZAP F. 11, S. 1391 ff., 1411 ff.), sondern umgekehrt auch die Kinder gegenüber ihren Eltern. Der Unterhaltsanspruch richtet sich auf den angemessenen Unterhalt (§ 1610 Abs. 1 BGB).
Hinweis:
Vom Gesetzgeber wird jedoch unterhaltsberechtigten Eltern gegenüber Kindern eine relativ schwache Rechtsposition zugewiesen. Denn die Eltern gehen im Rang nicht nur den minderjährigen sowie volljährigen Kindern und Ehegatten der Unterhaltspflichtigen nach, sondern stehen im Rang auch hinter deren Enkeln (§ 1609 BGB).
Mit der Einführung der gesetzlich geförderten privaten Altersvorsorge hat der Gesetzgeber außerdem deutlich gemacht, dass jeder Einzelne für seine Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung rechtzeitig und ausreichend vorsorgen sollte. Die Grundsicherung im Alter (§§ 41 ff. SGB XII) verdeutlicht weiterhin die Zielvorstellung des Gesetzgebers, bei der Frage, ob und inwieweit Eltern gegenüber ihren Kindern Unterhaltsansprüche geltend machen können, die Nachrangigkeit dieses Anspruchs ebenso wie die besondere Belastungssituation des Unterhaltspflichtigen zu beachten (BVerfG FamRZ 2005, 1051, 1055 m. Anm. Klinkhammer).
Maßgebliche Eckpunkte für jeden Unterhaltsanspruch – und damit auch für den Elternunterhalt – sind
- der Bedarf des Unterhaltsberechtigten (s. III.),
- seine aktuelle Bedürftigkeit aufgrund nicht ausreichender eigener Einkünfte und eigenen Vermögens (s. IV.),
- die aktuelle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, § 1603 BGB.
III. Unterhaltsrechtlicher Bedarf des Elternteils
Der Unterhaltsbedarf von Eltern im Ruhestand umfasst den gesamten Lebensbedarf, wie z.B. die Miete für die Wohnung, Ernährung, Bekleidung, Beiträge für die Krankenkasse und Pflegeversicherung (BGH, Urt. v. 19.2.2003 – XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860) und ist i.d.R. im Unterhaltsprozess konkret entsprechend den individuellen Verhältnissen vorzutragen.
1. Maßstab für den Bedarf
Das Maß des geschuldeten Unterhalts bestimmt sich gem. § 1610 BGB nach der eigenen Lebensstellung des Elternteils. Der – eigenständige – Bedarf eines unterhaltsberechtigten Elternteils beurteilt sich folglich in erster Linie nach den persönlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des betreffenden Elternteils (BGH, Urt. v. 19.2.2003 – XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860, 861 = NJW 2003, 1660).
Hinweis:
Dadurch unterscheidet sich der Elternunterhalt deutlich von anderen Unterhaltsverhältnissen. Der Bedarf des minderjährigen und auch des volljährigen noch in der Berufsausbildung befindlichen Kindes leitet sich von der Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen ab. Auch beim Ehegattenunterhalt wird der Bedarf entscheidend von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des anderen Ehegatten, also des Unterhaltspflichtigen bestimmt.
Grundsätzlich führen nachteilige Einkommensveränderungen auch zu einer Änderung der Lebensstellung, die gem. § 1610 BGB den Unterhaltsbedarf prägt. Folglich scheidet ein Anspruch auf Unterhalt entsprechend einer früheren Lebensstellung aus. Durch den Eintritt in den Ruhestand werden aber regelmäßig nachteilige Veränderungen der Einkommensverhältnisse ausgelöst, die auch eine Änderung der Lebensstellung des Elternteils zur Folge haben. Dessen Lebensstellung bestimmt sich daher nicht nach dem eigenen Einkommen in „besseren Zeiten“, als er noch erwerbstätig war, sondern nach den aktuell gegebenen tatsächlichen Verhältnissen. Dies gilt auch dann, wenn die Einkommensverschlechterung durch den Tod eines Ehegatten bedingt ist (BGH FamRZ 2006, 935).
Daher können Eltern von ihren Kindern keinen Unterhalt mehr nach einer früheren – besseren – Lebensstellung verlangen. Ist der Elternteil im Alter sozialhilfebedürftig geworden, beschränkt sich sein angemessener Lebensbedarf i.d.R. auf das Existenzminimum (BGH, Urt. v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10, NJW 2013, 301 = FamRZ 2013, 203 m. Anm. Hauß; BGH, Urt. v. 19.2.2003 – XII ZR 67/00, FamRZ 2003, 860). Dieses Existenzminimum des nicht erwerbstätigen Unterhaltsberechtigten von 880 EUR (Wert der Düsseldorfer Tabelle 2018) bildet jedoch auch beim Elternunterhalt die Untergrenze des Bedarfs (BGH FamRZ 2003, 860, 861).
Praxishinweis:
Der Bedarf kann bei bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen ohne Auflistung einzelner Bedarfspos...