1. Wiedereinsetzung bei Versäumen der Klagefrist wegen Störung des Telefaxeingangs bei Gericht
Die Parteien stritten um höhere Leistungen der Grundsicherung vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer Mieterhöhung an. Der beklagte Landkreis lehnte dies durch Widerspruchsbescheid vom 13.5.2015 ab. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt der Klägerin übersandte am Tag des Ablaufs der Klagefrist vormittags die gegen den Bescheid gerichtete Klageschrift mittels Telefax an das knapp 30 km vom Kanzleisitz entfernte SG. Die Übermittlung schlug fehl, weil der Telefax-Eingang des SG an diesem Tag durchgehend gestört war. Als der Bevollmächtigte dies bemerkte, schickte er eine E-Mail an das SG, an die die eingescannte, unterschriebene Klageschrift als PDF-Datei angehängt war. Die Geschäftsstelle druckte den Anhang am selben Tag aus und versah ihn mit einem Eingangsstempel. Das Original der Klageschrift ging erst am nächsten Tag mit der Briefpost ein. Die Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen, sie sei nicht rechtzeitig erhoben.
Das BSG hat im Revisionsverfahren das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen, weil die Vorinstanzen die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen haben (Urt. v. 24.4.2018 – B 8 SO 23/16 R). Das Gericht lässt es offen, ob die als Anhang einer E-Mail an das SG gesandte, eingescannte und unterschriebene Klageschrift, die am Tag des Fristablaufs vollständig ausgedruckt beim SG vorlag, verfristet war. Der Klägerin wäre bei Versäumen der Klagefrist jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) zu gewähren.
Hinweise:
Grundsätzlich wird Wiedereinsetzung nur auf Antrag gewährt, der binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ist, § 67 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGG. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, § 67 Abs. 2 S. 3, 4 SGG.
§ 67 SGG findet nach § 84 Abs. 2 S. 3 SGG auch im Widerspruchsverfahren Anwendung. Für Verfahrensfristen im Verwaltungsverfahren gilt § 27 SGB X. Neben den unterschiedlichen Anwendungsbereichen gibt es zwischen den beiden Vorschriften auch inhaltliche Abweichungen:
- Eine erleichterte Wiedereinsetzung bei Verfahrens- und Formfehlern findet sich in § 41 Abs. 3 SGB X.
Kausal für die Fristversäumung um einen Tag war allein die Störung des Faxeingangs bei Gericht. Mit der Aufgabe der Klageschrift zur Post noch am Tag der gescheiterten Übersendung mittels Telefax hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um weitere Verzögerungen zu verhindern.
2. Wiedereinsetzung bei Verletzung gerichtlicher Hinweispflichten
Vorbereitende Schriftsätze etc. können gem. § 65a Abs. 1 SGG in der ab 1.1.2018 geltenden Fassung nach Maßgabe der Abs. 2–6 als elektronisches Dokument – durch Übermittlung an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) – bei Gericht eingereicht werden.
Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein, wobei die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmt, § 65a Abs. 2 SGG. Diese sind in der zum 1.1.2018 in Kraft getretenen Elektronischen-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV vom 27.11.2017 (BGBl I 2017, S. 3803) in der Fassung vom 9.2.2018 (BGBl I 2018, S. 200) geregelt. Die technischen Anforderungen, die hierbei zu beachten sind, ergeben sich aus der Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu § 5 ERVV vom 19.12.2017.
Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Personen (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden, § 65a Abs. 3, 4 SGG. Ein elektronisches Dokument, das mit einer qeS der verantwortenden Person versehen ist, darf lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg oder an das EGVP übermittelt werden, § 4 Abs. 1 ERVV. Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen qeS (sog. Container-Signatur) versandt werden, § 4 Abs. 2 ERVV. Diese Einschränkung will verhindern, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Containersignatur nicht mehr überprüft werden kann (zu weiteren Details s. Mardorf JM 2...