Der 1987 geborene schwerbehinderte Beschwerdeführer ist aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung auf eine 24-Stunden-Betreuung angewiesen und erhält seit Jahren vom zuständigen Leistungsträger ein persönliches Budget, mit welchem er seine Versorgung im Rahmen eines sog. Arbeitgebermodells selbst organisiert. Die Höhe des Budgets war Gegenstand mehrerer sozialgerichtlicher Eilverfahren sowie eines Verfahrens vor dem BVerfG (Kammerbeschluss v. 12.9.2016 – 1BvR 1630/16). Nachdem das BVerfG der Verfassungsbeschwerde stattgegeben hatte, verpflichtete das LSG den Leistungsträger, dem Beschwerdeführer bis zum Abschluss einer Bedarfsfeststellung, längstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, ein persönliches Budget von monatlich ca. 12.800 EUR zu gewähren. Die Hauptsacheverfahren sind weiterhin anhängig. Nach der Bedarfsfeststellung bewilligte der Leistungsträger lediglich ein persönliches Budget im Umfang von rd. 7.221 EUR. Das Begehren nach höherer Leistung blieb beim SG und LSG erfolglos.
Die Kammer nahm die vom Beschwerdeführer eingelegte Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Sie verweist auf ihre bisherige Rechtsprechung, die oben unter a) skizziert ist. Diesen Anforderungen genüge die Entscheidung des LSG nicht. Zum einen drohe dem Beschwerdeführer eine offensichtlich über Randbereiche hinausgehende Verletzung in eigenen Rechten. Er habe durch Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen, dass er sein Assistenzmodell mit dem derzeit gewährten persönlichen Budget von monatlich 7.221 EUR bei nachgewiesenen monatlichen Ausgaben i.H.v. durchschnittlich rd. 11.000 EUR für seine Assistenzkräfte zzgl. der Kosten für ein Case-Management i.H.v. monatlich 1.800 EUR nur noch ungefähr drei Monate aufrechterhalten könne. Es sei unwahrscheinlich, dass das sozialgerichtliche Hauptsacheverfahren innerhalb von drei Monaten beendet sein wird. Unter diesen Umständen habe das LSG einmal die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs überspannt, indem es die diesen betreffenden umfangreichen Ausführungen des Beschwerdeführers pauschal als "nicht nachvollziehbar" bezeichnete und zum andern die Sache angesichts der drohenden Rechtsverletzungen tatsächlich und rechtlich nicht hinreichend durchdrungen hat, da es sich ausdrücklich auf eine summarische Prüfung beschränkte. Ferner habe das LSG dem Leistungsträger eine nachvollziehbare Bedarfs- und Kostenermittlung für die Organisation der begehrten 24-Stunden-Assistenz attestiert, obwohl der Beschwerdeführer mehrere beachtliche Einwände gegen die Stimmigkeit dieses Konzepts geltend gemacht habe. Damit, so das BVerfG, beruht die Entscheidung des LSG auf der unzureichenden Beachtung der sich aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ergebenden Anforderungen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das LSG bei einer verfassungsrechtlich gebotenen Befassung mit dem Begehren des Beschwerdeführers zu einem für diesen günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
Hinweise:
In einem weiteren stattgebenden Kammerbeschluss v. 16.4.2019 – 1 BvR 2111/17 (s. hierzu Voelzke, jurisPR-SozR 18/2019 Anm. 3) hat das BVerfG zur Reichweite einer verfassungsrechtlichen Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen im PKH-Verfahren (vorliegend waren Leistungen nach dem SGB II betroffen) entschieden:
Der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (hier für das sozialgerichtliche Verfahren: aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ist verletzt, wenn das Fachgericht einen PKH-Anspruch unter Hinweis auf die zwischenzeitliche Erledigung der Sache verneint, obschon das Rechtsschutzbegehren zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Antrags Aussicht auf Erfolg hatte (s. bereits BVerfG, Beschl. v, 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17 Rn. 15).
Der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit ist zudem auch dann verletzt, wenn das Fachgericht hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung auf einen zutreffenden Zeitpunkt abstellt, jedoch die Anforderungen an ebenjenes Tatbestandsmerkmal hinreichender Erfolgsaussichten überspannt, etwa in dem es eine bislang ungeklärte, schwierige Rechtsfrage bereits im PKH Verfahren "durchentscheidet" (s. bereits BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 – 2 BvR 94/88). PKH ist aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits dann zu bewilligen, wenn eine Rechtsauffassung vertretbar erscheint, auch wenn das Fachgericht die Auffassung nicht teilt (BVerfG, Beschl. v. 14.2.2017 – 1BvR 2507/16).
Autoren: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht und für Arbeitsrecht Dr. Ulrich Sartorius, Breisach und Prof. Dr. Jürgen Winkler, Katholische Hochschule Freiburg
ZAP F. 18, S. 1069–1088