1. Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verfahrensmangel; besondere Wertigkeit der mündlichen Verhandlung
Die nicht anwaltlich vertretene Klägerin begehrte von der beklagten Krankenkasse Leistungen nach dem SGB V ohne Nutzung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das LSG unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 18.11.2014 (B 1 KR 35/13 R), wonach die Bestimmungen zur Verwendung einer eGK rechtlich nicht zu beanstanden sei, ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.
Hinweis:
Entscheidet das SG erstinstanzlich durch Gerichtsbescheid, so kann das LSG – außer im Fall der Unzulässigkeit der Berufung (s. § 158 SGG) – über das Rechtsmittel grds. nur nach mündlicher Verhandlung entscheiden. Die Möglichkeit, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich angesehen wird, besteht nach einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht (s. § 153 Abs. 4 S. 1 SGG), was sich zudem zwingend aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt.
Das LSG entschied gleichwohl ohne mündliche Verhandlung, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt hätten, s. § 124 Abs. 2 SGG. Dies bestritt die Klägerin. Ihre Nichtzulassungsbeschwerde war insoweit erfolgreich, als das BSG das angefochtene Urteil aufhob und den Vorgang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwies (§ 160a Abs. 5 SGG, BSG 9.4.2019 – B 1 KR 81/18 B, hierzu Schütz, jurisPR-SozR 11/2019 Anm. 6).
Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde, wie hier, auf einen Verfahrensmangel stützt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG), muss zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen begründende Tatsachen substantiiert dartun und zudem darlegen, dass und warum die Entscheidung des LSG auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Die Klägerin trug diesen Anforderungen, so das BSG, hinreichend Rechnung. Sie war vom LSG mehrfach gefragt worden, ob sie einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG zustimme, hat dann ausdrücklich am 17.9.2018 die Zustimmung abgelehnt und gleichzeitig wegen Verhinderung um Verlegung des für den 25.9.2018 angesetzten Termins gebeten. Ergänzend teilte sie am 21.9.2018 dem LSG mit, am Vortag sei bei ihr eine Krebserkrankung festgestellt worden, sie sehe sich nicht in der Lage, sich auf eine Gerichtsverhandlung zu konzentrieren. Ob aus diesem Grund eine Terminverschiebung möglich sei, könne sie nicht beurteilen. Sie sei auf die Beratung des LSG angewiesen. Weiter heißt es dann: "Nur wenn das keinen Grund darstellt, sehe ich mich gezwungen, der Verhandlung im schriftlichen Verfahren zuzustimmen. Ich bitte daher um Aufhebung des Termins am 25.9.2018". Das Gericht forderte die Klägerin daraufhin mit Telefax vom 21.9.2018 auf, eine ärztliche Bescheinigung zu übersenden, damit ein Verlegungsgrund geprüft werden könne, die Bescheinigung solle Aussagen zur momentanen körperlichen/psychischen Belastbarkeit/Reisefähigkeit der Klägerin enthalten. Die Klägerin legte sodann einen Befund des Radiologen vor und verwies darauf, dass sie bei einem Psychiater erst Anfang Dezember 2018 einen Termin erhalten habe. Das Gericht teilte der Klägerin am 24. September mit, sie habe bisher keinen Grund für eine Terminverlegung glaubhaft gemacht, der morgige Termin finde statt, sie könne aber einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach wie vor zustimmen. Am gleichen Tag antwortete die Klägerin: "habe ich bereits zugestimmt! Bitte lesen, Arzttermine bekommt man nicht innerhalb von einem Tag!!!"
Die Klägerin hat damit, so das BSG, keine Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt, sondern auf die zuvor mit Schreiben vom 21.9.2018 lediglich bedingte erteilte Zustimmung Bezug genommen. Aus dem gesamten Vortrag der Klägerin ergebe sich, dass sie auf eine mündliche Verhandlung nicht verzichten wollte. Nur für den Fall, dass das LSG ihren Vortrag nicht als erheblichen Grund für eine Terminverlegung ansehen würde, hat sie einer "Verhandlung im schriftlichen Verfahren" zugestimmt. Dabei nahm die Klägerin auch für das LSG erkennbar irrtümlich an, sie müsse, um einen Verlegungsgrund glaubhaft zu machen, hinsichtlich ihrer "psychischen Belastbarkeit" das Attest eines Psychiaters vorlegen.
Vor diesem Hintergrund durfte das LSG kein Einverständnis i.S.d. § 124 Abs. 2 SGG annehmen, sondern hätte die Klägerin über ihren Irrtum aufklären und den Termin vertagen müssen. Wirksam kann Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nur klar, eindeutig und grds. vorbehaltlos erklärt werden (so bereits BSG, Urt. v. 22.9.1977 – 10 RV 79/76 Rn 10).
Das BSG entscheidet weiter, dass die Klägerin einen Verfahrensmangel geltend macht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens (§ 124 Abs. 1 SGG) bedürfe es keines weiteren Vortrags zum "Beruhen-Können" de...