a) Allgemeine Fragen
Auf folgende Entscheidungen zur Trunkenheitsfahrt ist hinzuweisen.
Hat der alkoholisierte Angeklagte lediglich schlafend in seinem Fahrzeug gesessen, hat er das Fahrzeug nicht geführt; dies gilt auch dann, wenn der Motor in Betrieb war (BGH DAR 2019, 38). Das bloße Sitzen im unbewegten Fahrzeug fällt auch dann nicht unter den Begriff des „Führens” eines Kfz, wenn der Motor in Betrieb ist (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 197 f.; Fischer, a.a.O., § 315c Rn 3b).
Die Fahruntüchtigkeit lässt sich nicht allein aus einem bestimmten Blutwirkstoffgehalt ableiten. Es bedarf stets einer Gesamtwürdigung des Blutwirkstoffbefunds und weiterer festzustellender Beweisanzeichen (wie der Fahrweise), die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kfz-Führers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (OLG Düsseldorf DAR 2019, 578).
Aus der Blutalkoholkonzentration allein kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf vorsätzliches Handeln in Bezug auf die Fahruntüchtigkeit geschlossen werden (OLG Dresden, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 OLG 22 Ss 399/18, VA 2019, 66). Es müssen alle Umstände, die sich in der Hauptverhandlung ergeben haben, herangezogen und gewürdigt werden, um zu einer fehlerfreien Überzeugung hinsichtlich der Schuldform zu gelangen. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann zwar auch aus einer einschlägigen Vorstrafe auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass beide Trunkenheitsfahrten im Mindestmaß vergleichbar sind. Das hat zur Folge, dass der Sachverhalt der Vorverurteilung in den Urteilsgründen in ausreichender Weise mitgeteilt werden muss (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 23.4.2019 – 2 Rv 4 Ss 105/19, VA 2019, 142 = DAR 2019, 579).
b) Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter
Der E-Scooter ist in der Rechtsprechung angekommen (vgl. dazu auch Deutscher, ZAP F. 9, S. 1105; Burhoff, VA 2020, 16 ff.). Das merkt man deutlich daran, dass auch im strafrechtlichen Bereich Gerichtsentscheidungen zunehmen, die sich mit dem E-Scooter befassen. Dabei geht es derzeit vornehmlich um die Frage, ob nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Die bekannt gewordenen Entscheidungen sind in der nachfolgenden Übersicht zusammengestellt.
Hinweis:
Vorab: (Fast) alle nachfolgend erwähnten Entscheidungen gehen (im § 111a StPO-Verfahren) davon aus, dass es sich bei einem E-Scooter um ein Kfz handelt und daher § 69 StGB anwendbar ist. Das wird entweder ausdrücklich begründet (vgl. dazu insb. LG München I, Beschl. v. 30.10.2019 – 1 J Qs 24/19 jug, VRS 138, 29; vgl. auch BR-Drucks 158/2019, S. 31; Burhoff, VA 2020, 16; Huppertz, NZV 2019, 558) oder stillschweigend vorausgesetzt (AG Dortmund, Urt. v. 21.1.2020 – 729 Ds-060 Js 513/19 -349/19, NZV 2020, 270). Damit greift im Hinblick auf die Entziehung der Fahrerlaubnis an sich die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Argumentiert werden muss also bei der Frage, ob diese aufgrund der Umstände des Einzelfalls ggf. widerlegt ist.
Gericht/Entscheidung |
Besonderheiten des Sachverhalts |
Argumentation des Gerichts |
BayObLG, Beschl. v. 24.7.2020 – 205 StRR 216/20: Sperre von sieben Monaten und drei Monate Fahrverbot |
Strecke von ca. 300 m; Fahrt auf dem Bürgersteig, der zum Tatzeitpunkt von Fußgängern nicht benutzt wurde. |
E-Scooter ist ein Kfz. Es gilt die 1,1 ‰-Grenze. Keine Widerlegung der Regelvermutung. |
LG München I, Beschl. v. 30.10.209 – 1 J Qs 24/19 jug, VRS 138, 29: Fahrerlaubnis entzogen. |
Fahrt um 0.12 Uhr, BAK 1,49 ‰. |
E-Scooter ist ein Kfz. Es gilt die 1,1 ‰-Grenze. Das Gefährdungspotenzial entspricht nicht dem eines Fahrrads, sondern eher einem Mofa. |
LG München I, Beschl. v. 29.11.2019 – 26 Qs 51/19, DAR 2020, 111: Fahrerlaubnis entzogen. |
Fahrt im Sommer um 21.15 Uhr auf innerstädtischen Straßen, BAK 1,23 ‰. |
E-Scooter ist ein Kfz. Es gilt die 1,1 ‰-Grenze. Das Gefährdungspotenzial entspricht nicht dem eines Fahrrads, sondern eher einem Mofa. Die Tatsache, dass E-Scooter einfach gestartet werden können und bereits ab 14 Jahren, sowie ohne Helm gesteuert werden dürfen, widerlegt den Eignungsmangel nicht. |
LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 31 Qs 1/20, VRS 138, 20 = StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16: Fahrerlaubnis nicht entzogen. |
Fahrt um 1.10 Uhr auf dem Gehweg einer innerstädtischen Straße, BAK 1,56 ‰, kurze Wegstrecke. |
E-Scooter ist ein Kfz. Es gilt die 1,1 ‰-Grenze. Gefährdungspotenzial entspricht eher dem eines Pedelec. Die Regelvermutung kann (daher) bei einer Fahrt über eine Wegstrecke von einigen Metern und/oder zu verkehrsarmer Zeit widerlegt werden. |
LG Dortmund, Beschl. v. 7.2.2020 – 35 Qs 3/20, StRR 3/2020, 28 = VRR 3/2020, 16: Fahrerlaubnis nicht entzogen. |
Fahrt um 1.37 Uhr auf dem Gehweg einer innerstädtischen Straße, BAK 1,86 ‰, sehr kurze Wegstrecke, nach Sturz nicht weitergefahren. |
E-Scooter ist ein Kfz. Es gilt die 1,1 ‰-Grenze. Geringeres Gefährdungspotenzial als bei einem K... |