Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind unrichtige Rechtsbehelfsbelehrungen im Zivilprozess haftungsgeneigt. Das gilt, obwohl der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess vom 5.12.2012 (BGBl. I, S. 2418) das Ziel hatte, zur Vermeidung unzulässiger, insbesondere nicht fristgerecht eingelegter Rechtsbehelfe eine sinnvolle und bürgerfreundliche Regelung zu schaffen (Gesetzbegründung BT-Drucks. 17/10490, 1 ff.).
Seit dem 1.1.2014 muss jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung gem. § 232 S. 1 ZPO eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel, den Einspruch, den Widerspruch oder die Erinnerung sowie über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf einzulegen ist, über den Sitz des Gerichts und über die einzuhaltende Form und Frist enthalten. Das gilt (§ 232 S. 2 ZPO) nicht in Verfahren, in denen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, es sei denn, es ist über einen Einspruch oder Widerspruch zu belehren oder die Belehrung ist an einen Zeugen oder Sachverständigen zu richten. Aus der Formulierung dieser Ausnahme folgt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unabhängig davon anzubringen ist, ob im konkreten Einzelfall die Parteien anwaltlich vertreten werden. Nicht erforderlich ist sie nur bei bestehendem Anwaltszwang, wobei es insoweit auch wieder Ausnahmen für den Einspruch oder den Widerspruch gibt. Anwälte werden also regelmäßig mit Rechtsbehelfsbelehrungen konfrontiert. Und darunter befinden sich durchaus nicht selten unrichtige Belehrungen.
Nach dem problematischen Konzept des Gesetzes darf sich der Rechtsanwalt nicht auf die Rechtsbehelfsbelehrung verlassen. Allerdings wird gem. § 233 S. 2 ZPO im Rahmen eines Wiedereinsetzungsverfahrens ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Obwohl diese Formulierung den Eindruck erweckt, dass auch die anwaltlich vertretene Partei diesen Schutz genießt, besteht in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass den Rechtsanwalt das Fehlen oder die Unvollständigkeit der Belehrung grundsätzlich nicht entlastet. Das war – mit gewissen Einschränkungen – auch die Idee des Gesetzgebers, der grundsätzlich davon ausgegangen ist, dass die anwaltlich vertretene Partei nicht belehrungsbedürftig ist (BT-Drucks. 17/10490, 11 f.).
Der Gesetzgeber hatte aber übersehen, dass bei einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung ein Vertrauenstatbestand durch das Gericht geschaffen wird und dass es gerade im Sinne des effektiven Rechtsschutzes des Bürgers wenig überzeugend wäre, bei anwaltlicher Vertretung die Problematik auf das Regressverhältnis zwischen Mandant und Anwalt zu verschieben.
Der DAV ist daher im Gesetzgebungsverfahren vehement dafür eingetreten, das Vertrauen in gerichtliche Rechtsbehelfsbelehrungen unabhängig von anwaltlicher Vertretung zu schützen. Der Gesetzgeber ist dem leider nicht gefolgt. Er wollte aber insoweit ersichtlich eine goldene Brücke bauen und hat (s. Gesetzesbegründung, S. 15) formuliert: "Insbesondere wird ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die in der Belehrung mitgeteilten Rechtsbehelfsfristen vertrauen dürfen, so dass der von ihm vertretenen Partei Wiedereinsetzung zu gewähren ist, wenn er den Rechtsbehelf innerhalb der mitgeteilten falschen Frist einlegt."
Diese – die Rechtspraxis nicht bindende – Erwägung des Gesetzgebers ändert aber nichts daran, dass nun in jedem Einzelfall bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung und anwaltlich vertretener Partei Kausalität und Verschulden zu prüfen sind.
Welche Wertungswidersprüche insoweit denkbar sind, zeigt eine aktuelle Entscheidung des LG Frankfurt/M. vom 2.6.2015 (2-13 S 2/15, ZAP EN-Nr. 674/2015, NJW 2015, 2592). Der erste Leitsatz der Entscheidung lautet: "Zumindest derjenige Rechtsanwalt, der kein Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist, darf davon ausgehen, dass ein mit der Spezialmaterie Wohnungseigentumsrecht vertrauter Richter eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung erteilt mit der Folge, dass der Rechtsirrtum des Rechtsanwalts über das zuständige zentrale Berufungs- und Beschwerdegericht in Wohnungseigentumssachen nach § 72 Abs. 2 GVG entschuldbar ist, wenn er die nicht offenkundig unzutreffende Rechtsmittelbelehrung nicht weiter überprüft."
Das LG Frankfurt/M. wollte also helfen und gleichzeitig die bisherigen Grundsätze nicht über Bord werfen. Der dazu gefundene Weg (Differenzierung zwischen Fachanwalt und Normalanwalt) erscheint aber im Lichte der Haftungsrechtsprechung des BGH durchaus problematisch. Die Entscheidung des LG Frankfurt/M. bedeutet also keine Entwarnung.
Sinnvoll wäre es, würde der Gesetzgeber klarstellen, dass auch die anwaltlich vertretene Partei ausnahmslos auf Rechtsbehelfsbelehrungen des Gerichts vertrauen darf. Das lässt sich entweder über eine Anpassung des Wiedereinsetzungsrechts oder über eine Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes lösen: Der Rechtsbehelf, der beim unzuständigen Gericht eingelegt wurde, ändert an der Zulässigkeit nichts, wen...