Bei diesem Schwerpunktthema der letzten Berichte hat sich die Front deutlich beruhigt.
a) Messverfahren
Das OLG Düsseldorf (StRR 2015, 234 = VRR 6/2015, 16 [jew. Deutscher]) hat die Ansicht der Obergerichte bekräftigt, dass es sich bei der Verwendung des Messgeräts PoliScan Speed zur Geschwindigkeitsüberwachung um ein standardisiertes Messverfahren handelt, also um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322; Geißler DAR 2014, 717). Bei seiner Verwendung greift ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ein: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es in aller Regel konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf.
Betreffend das ebenfalls umstrittene Messverfahren ESO 3.0 hat das OLG Naumburg (DAR 2015, 405) einen Freispruch mit folgender Begründung gehalten: Kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sechs Messungen der Messreihe nicht nachvollzogen werden können, dann ist die Vermutung korrekter und nachvollziehbarer Messungen hinsichtlich der gesamten Messreihe dieses Tages zumindest erschüttert worden. Wenn weiter nicht auszuschließen ist, dass ein äußerer optischer Effekt die Messung ausgelöst habe mit der Folge, dass die angezeigte Geschwindigkeit nicht die vom Betroffenen gefahrene war, ist es nicht nur vertretbar, dass das Gericht Zweifel hatte, vielmehr liegt dies sogar außerordentlich nahe.
Das AG Meißen spricht dem Messverfahren ESO ES 3.0 in seinem eingehend auf 112 Seiten begründete Urteil vom 29.5.2015 (13 OWi 703 Js 21114/14, ZAP EN-Nr. 785/2015 [in diesem Heft]) die Eigenschaft als standardisiertes Messverfahren ab. Die innerstaatliche Bauartzulassung durch die PTB und die Einhaltung der Bedienvorschriften gewährleisteten nicht, "dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Messergebnisse zu erwarten sind". Die Beweisaufnahme u.a. mit zwei Sachverständigen habe bauartbedingte Fehlerquellen der Geschwindigkeitsmessanlage bei der Messwertbildung zu Tage treten lassen, die nicht innerhalb der zulässigen Verkehrsfehlergrenze lägen und auch nicht durch einen größeren Toleranzwert ausgeglichen werden könnten. – Es bleibt abzuwarten, wenngleich erfahrungsgemäß nicht zu erwarten, ob dieses rechtskräftige Urteil Auswirkungen auf die obergerichtliche Rechtsprechung haben wird.
Ein "Vier-Augen-Prinzip", nach dem eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl FG 21-P nur zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden kann, wenn der vom Messgerät angezeigte Messwert und die Überschreitung dieses Wertes in das Messprotokoll von einem zweiten Polizeibeamten kontrolliert worden sind, existiert nicht. Eine Verwaltungsvorschrift mit diesem Inhalt begründet im gerichtlichen Bußgeldverfahren weder eine Beweisregel, die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung einschränkt, noch folgt aus einem Verstoß gegen sie ein Beweisverwertungsverbot oder gar ein Verfahrenshindernis (OLG Stuttgart DAR 2015, 407 m. Anm. Bellardita sowie Dorner DAR 2015, 477).
b) Akteneinsicht
Die lange umstrittene Frage nach dem Einsichtsrecht in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgeräts darf als geklärt angesehen werden. Weitere Einsichtsrechte beschäftigen indessen die Gerichte. Der Verteidiger hat ein Einsichtsrecht auch in eine komplette Messreihe, also Messfilm oder Messdatei, wobei dem auch datenschutzrechliche Belange abgebildeter Dritter nicht entgegenstehen sollen (AG Königs Wusterhausen VRR 7/2015, 16 [Burhoff]). Das AG Cottbus hatte insofern zutreffend eine Unkenntlichmachung Dritter verlangt (StraFo 2012, 409).
Mit den Folgen der Ablehnung der Einsichtnahme in die Messdatei hat sich das OLG Oldenburg befasst (DAR 2015, 406 m. Anm. Deutscher = StRR 2015, 274/VRR 7/13 [jew. Burhoff]): Hat der Betroffene vorprozessual mehrfach vergeblich bei der Bußgeldbehörde beantragt, ihm die Messdatei zugänglich zu machen ist das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt. Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das AG dann trotz mehrfachen Antrags, die Messdatei zur Verfügung zu stellen, dennoch den Hauptverhandlungstermin durchführt, ohne dem Betroffenen die Messdatei zugänglich zu machen. Die Ablehnung des Antrags ohne jede Begründung, aus welchem Grund der Verteidigung die Messdatei betreffend den konkreten Vorgang nicht zugänglich gemacht wurde, ist schlechthin nicht nachvollziehbar und daher willkürlich.
Praxishinweis:
In der Praxis sollte der Verteidiger trotz dieser begrüßenswerten Entscheidung in solchen Fällen schon zur Sicherheit frühzeitig Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG gegen die Ablehnung durch die Bußgeldbehörde stellen, um im Rahmen der Rechtsbesch...