Wie allgemein bekannt, sind zahlreiche Anbieter von sozialen Netzwerken, E-Mail-Accounts, Messenger-Diensten, Online-Shops und anderen Dienstleistungen in der digitalen Welt mit führender Marktstellung außerhalb Deutschlands ansässig, insbesondere in den USA. Ein inländischer Nutzer begründet häufig vertragliche Beziehungen mit ausländischen Rechtssubjekten. Es ist durchaus denkbar, dass sich die vertraglichen Ansprüche des Erben, der an Stelle des Erblassers in den Vertrag eintritt, nach einem ausländischen Vertragsstatut richten.
Nach deutschem Kollisionsrecht können die Vertragsparteien das auf den Vertrag anzuwendende Recht grundsätzlich frei wählen (Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 – Rom I-VO). Mangels einer Rechtswahl legt Art. 4 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 das Vertragsstatut für bestimmte Vertragstypen fest. Für Dienstleitungsverträge gilt demnach das Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sonstige Verträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem die Partei, die die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2 VO (EG) Nr. 593/2008). Beide Regelungen stehen unter dem Vorbehalt, dass nicht offensichtlich eine engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates besteht (Art. 4 Abs. 3 VO (EG) Nr. 593/2008). Als gewöhnlicher Aufenthalt von Gesellschaften und juristischen Personen gilt deren Hauptverwaltung bzw. die mit dem Vertrag befasste Niederlassung (Art. 19 Abs. 1, 2 VO (EG) Nr. 593/2008). Diese Bestimmungen werden regelmäßig zur Anwendbarkeit des (ausländischen) Rechts der Hauptverwaltung oder Niederlassung des Anbieters führen. In diesen Fällen unterliegt das Vertragsverhältnis ausländischem Recht.
Ein abweichendes Bild ergibt sich für Verbraucherverträge. Nach Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 593/2008 unterliegt ein Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesem Staat ausübt oder seine Tätigkeit (auch) auf diesen Staat ausrichtet. Dies ist bei in Deutschland nutzbaren Online-Diensten zumeist der Fall. Eine Rechtswahl ist auch bei Verbraucherverträgen möglich, doch bleiben zwingende, den Verbraucher schützende Vorschriften des Staats seines gewöhnlichen Aufenthalts ungeachtet der Wahl einer anderen Rechtsordnung anwendbar (Art. 6 Abs. 2 VO (EG) Nr. 593/2008).
Hinweis:
Viele Online-Dienste nehmen die Nutzer außerhalb einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit als Verbraucher in Anspruch. Diese Kollisionsnorm führt daher in vielen Fällen zur Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts.
Ist der Erbe auf eine Rechtsdurchsetzung im Ausland am Sitz des Anbieters angewiesen, bestimmen die dortigen Gerichte das Vertragsstatut nach ihrem eigenen Kollisionsrecht. Durch die VO (EG) Nr. 593/2008 wurde eine bedeutende Rechtsvereinheitlichung erreicht, die sich aber nur auf die Europäische Union mit Ausnahme Dänemarks und Großbritanniens bezieht. Andere Staaten kennen andere Kollisionsnormen, die zur Anwendung einer anderen Rechtsordnung auf das Vertragsverhältnis durch ein ausländisches Gericht führen können. Insbesondere die Anwendung deutscher Verbraucherschutzbestimmungen ist in dieser Konstellation nicht gewährleistet.
Die materiell-rechtlichen Ergebnisse der Anwendung einer ausländischen Rechtsordnung auf das Vertragsverhältnis entsprechen naturgemäß nicht durchgängig den Lösungen des deutschen Rechts. Im Einzelfall mag, abweichend von der Rechtslage, die sich nach deutschem Recht ergäbe, nach dem ausländischen Vertragsstatut ein Nutzungsrecht mit dem Tod des Erblassers beendet sein, oder der Erbe mag keinen vertraglichen Anspruch auf Mitteilung von Zugangsdaten oder auf Rücksetzung eines Accounts haben. Dies kann für den Erben unerwartete praktische Schwierigkeiten in der Nachlassabwicklung mit sich bringen.