1. "EU-Führerscheintourismus" (zugleich Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 StVG)
Die hitzige Auseinandersetzung um den "EU-Führerscheintourismus" und dessen Auswirkungen auf die deutsche (Straf-)Rechtsordnung insbesondere beim Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG ist merklich zur Ruhe gekommen.
Hinweis:
Aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich erörtert Koehl DAR 2016, 186.
Als Grundlage für die Prüfung eines Wohnsitzverstoßes (§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV) durch den Aufnahmemitgliedstaat reicht es aus, dass den vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen "Indizcharakter" für die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses zukommt. Ein "Indiz" für das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Wohnsitzprinzip liegt vor, wenn sich die Informationen des Ausstellermitgliedstaats darauf beschränken, dass der Führerscheininhaber dort einen melderechtlichen Wohnsitz hatte, und er gleichzeitig ununterbrochen im Inland gemeldet war. Die weitere Prüfung, ob tatsächlich ein Wohnsitzverstoß gegeben ist, erfolgt unter Einbeziehung aller Umstände des Falls (OVG Koblenz NJW 2016, 2052 = DAR 2016, 218; OVG Lüneburg NJW 2016, 2132 = zfs 2016, 356).
2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)
a) Alkohol
Noch immer Wellen schlägt die Entscheidung des VGH Mannheim aus dem Jahr 2014, wonach die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss für ein Wiedererteilungsverfahren die Notwendigkeit der Anordnung einer MPU auslösen soll, selbst wenn die BAK zur Tatzeit unter 1,6 ‰ – hier: 1,20 ‰ – lag (NJW 2014, 1833 = NZV 2014, 541 = DAR 2014, 416 mit abl. Besprechung Mahlberg DAR 2014, 419 = zfs 2014, 235 m. Anm. Haus 479 = StRR 2015, 70 [Pießkalla]).
Hinweis:
Hierzu die Übersicht bei Rebler DAR 2016, 486 sowie Dronkovic/Kalus DAR 2016, 191; zfs 2016, 184. Zur Auswirkung auf die verkehrspsychologische Diagnostik und Therapie näher Ehret NZV 2016, 405.
Bei einer Alkoholabhängigkeit ist es für die Annahme fehlender Fahreignung ohne Belang, ob die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr geschehen sind (BVerwG DAR 2016, 216).
Hinweis:
Zu den Auswirkungen der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Alkohol auf andere Berechtigungen Scheidler DAR 2016, 417.
b) Drogen
aa) Cannabis
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis den Konsum und das Fahren nicht trennen kann. Das liegt vor, wenn er fährt, obwohl angesichts des bei ihm festgestellten THC-Werts eine hierdurch bedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht auszuschließen ist. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt vor, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Zwar kann aus einem in einer Blutprobe festgestellten THC-Wert im Wege der Rückrechnung nicht mit jener Genauigkeit wie beim Alkohol ermittelt werden, wie hoch der Spiegel zu einem bestimmten, vor der Blutentnahme liegenden Zeitpunkt war. Auf die Erkenntnisse über das Abbauverhalten von THC darf aber insoweit zurückgegriffen werden, als sich aus ihnen "negative" Aussagen dergestalt herleiten lassen, dass ein für einen bestimmten Zeitpunkt eingeräumter oder sonst feststehender Konsum von Cannabis keinesfalls (allein) zu der in einer später gewonnenen Blutprobe festgestellten Konzentration geführt haben kann (VGH München NJW 2016, 1974).
bb) Polamidon
Grundsätzlich ist derjenige, der unter Einnahme von L-Polamidon an einer Substitutionsmaßnahme teilnimmt, fahrerlaubnisrechtlich ungeeignet (VG Oldenburg zfs 2016, 480 [Ls.]; zum Konsum von Amphetamin OVG Saarlouis zfs 2016, 234, 237).
cc) Unbemerkte Verabreichung durch Dritte
Ein Fahrerlaubnisinhaber, der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Betäubungsmittelkonsums einwendet, ein Dritter habe ihm diese Substanzen verabreicht und er habe dies nicht bemerkt, muss einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt (VGH München DAR 2016, 289 = zfs 2016, 175).
c) Auswirkungen des Punktesystems
Die Entziehung einer Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG in der ab dem 5.12.2014 geltenden Fassung kann auch auf eine Zuwiderhandlung gestützt werden, die bereits vor der Zustellung der Verwarnung begangen wurde, aber der Fahrerlaubnisbehörde erst nach der Verwarnung bekannt geworden ist. Die Einschränkung des Tattagprinzips bei Anwendung der Bonusregelung des § 4 Abs. 6 StVG in der ab dem 5.12.2014 geltenden Fassung begegnet jedenfalls dann keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme unmittelbar nach Kenntniserlangung von der maßgeblichen Zuwiderhandlung ergreift (VGH Mannheim NZV 2016, 198 = DAR 2016, 658). Bei der Frage, ob einem Betroffenen eine Punkteverringerung nach § 4 Abs. 6 S. 3 StVG zugutekommt, ist nicht auf den Zeitpunkt der rechtskräftigen Ahndung der letzten zu berücksichtigenden Zuwiderhandlung abzustellen, sondern es kommt allein darauf an, ob bei Ergreifen der Maßnahme die vorherige Maßnahme tatsächlich schon rechtmäßig ergriffen wurde. Darauf, dass eine Maßn...