Hinweis:
Überblicke über die aktuelle Rechtsprechung zum Fahrerlaubnisrecht geben Koehl (NZV 2017, 159) und Zwerger (zfs 2017, 364). Zu Neuerungen im Fahrerlaubnisrecht Schäfer (DAR 2017, 287).
1. "EU-Führerscheintourismus" (zugleich Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 21 StVG)
Die einst so hitzige Diskussion um den "EU-Führerscheintourismus" und dessen Auswirkungen auf die deutsche (Straf-)Rechtsordnung, insbesondere beim Fahren ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG, hat sich merklich beruhigt. Soweit im Rahmen der Prüfung eines Wohnsitzverstoßes (§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV) unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falls heranzuziehen, also ergänzend auch die "inländischen Umstände". Bei der dem nationalen Gericht obliegenden Prüfung, ob es sich um unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat handelt, können alle Umstände des anhängigen Verfahrens berücksichtigt werden. Nicht die Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedstaat alleine müssen den Beweis für den Wohnsitzverstoß erbringen, sondern es ist ausreichend, wenn diese Informationen auf einen Scheinwohnsitz hinweisen und erst unter Berücksichtigung der übrigen bekannten Umstände den Wohnsitzverstoß belegen. Aus einer Auskunft des zuständigen polnischen Ministeriums, die besagt, dass der Fahrerlaubnisinhaber nach den vorliegenden Informationen seinen normalen Wohnsitz in Polen gehabt habe, da ein Ort bekannt sei, an dem er gewöhnlich während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr wohne und deshalb die erteilte Fahrerlaubnis gültig sei, ergeben sich gleichwohl Zweifel, ob der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis in Polen tatsächlich einen Wohnsitz i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 2 FeV, Art. 12 RL 2006/126/EG hatte, wenn ausdrücklich angegeben wird, dass zum Vorhandensein einer Unterkunft, zu persönlichen oder beruflichen Bindungen, Behördenkontakten sowie Eigentumsinteressen nichts bekannt sei. Denn ein ordentlicher Wohnsitz setzt eine Unterkunft sowie persönliche oder berufliche Bindungen voraus (VGH München NZV 2017, 292 [Ternig]). In welcher Weise die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats die Informationen gewinnen (etwa durch Mitteilung Dritter), ist nicht maßgeblich. Der betroffene Fahrerlaubnisinhaber hat die Möglichkeit, die Unrichtigkeit der Informationen darzulegen und zu beweisen (VGH München NZV 2017 398 [Koehl]). Erlässt die Fahrerlaubnisbehörde nach § 28 Abs. 4 S. 2 FeV einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Fahrberechtigung und wird dieser angefochten, besteht die Pflicht zur Vorlage des ausländischen Führerscheins nach § 47 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 S. 2 FeV nur dann, wenn auch der feststellende Verwaltungsakt für sofort vollziehbar erklärt worden ist (VGH München NJW 2017, 2057 = zfs 2017, 419).
2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)
a) Alkohol
Hohe Wellen in der Praxis hat die Entscheidung des VGH Mannheim aus dem Jahr 2014 geschlagen, wonach die strafgerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss für ein Wiedererteilungsverfahren die Notwendigkeit der Anordnung einer MPU auslösen soll, selbst wenn die BAK zur Tatzeit unter 1,6 ‰ – hier: 1,2 ‰ – lag (NJW 2014, 1833 = NZV 2014, 541 = DAR 2014, 416 mit Bespr. Mahlberg 419 = zfs 2014, 235 m. Anm. Haus 479 = StRR 2015, 70 [Pießkalla]). Das BVerwG (DAR 2017, 533 m. Bespr. Mahlberg 514 = NZV 2017, 445 [Gail] = VRR 8/2017, 20 [Pießkalla]; Hillmann DAR 2017, 241) hat sich nunmehr in einer Grundsatzentscheidung entgegengesetzt geäußert: Ist nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ die Fahrerlaubnis durch das Strafgericht entzogen worden, darf die Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen. Die Teilnahme des Inhabers einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung mit einem privaten Kfz am öffentlichen Straßenverkehr außerhalb der Fahrgastbeförderung unter unzulässig hohem Alkoholeinfluss gibt grundsätzlich nur Anlass, untersuchen zu lassen, ob zu erwarten ist, dass der Inhaber der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung unter unzulässig hohem Alkoholeinfluss auch Fahrgäste mit einem Taxi oder Mietwagen befördert, oder ob er – insoweit – über das erforderliche Trennungsvermögen bzw. die erforderliche Trennungsbereitschaft verfügt (VGH München NJW 2017, 2695).
Hinweis:
Wer an schwerer Altersdemenz oder schweren Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse leidet, ist ungeeignet zum Führen von Kfz (VGH München NZV 2017, 245 [Ternig]).
b) Cannabis
Ein täglicher Konsum von Cannabis, das zu einem beträchtlichen Teil illegal beschafft wird, schließt grundsätzlich nach Nummer 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung aus, auch wenn der Betroffene aufgru...