I. Einleitung
Der Begriff der Verkehrssicherungspflicht ist bei den Angehörigen der interessierten Kreise in aller Munde. Zu diesen Kreisen gehören, soweit hier von Interesse, die Verantwortlichen für öffentliche Verkehrswege mit Baumbestand, für Grundstücke mit Baumbestand an öffentlichen Verkehrswegen, für Grenzbäume, für Waldgrundstücke und diejenigen Personen, die einen von solchen Bäumen herrührenden Schaden an ihren Rechtsgütern (z.B. Körper, Gesundheit, Eigentum) erlitten haben. Zweifel ergeben sich allerdings, ob die Verkehrssicherungspflicht immer rechtlich zutreffend eingeordnet wird; mit anderen Worten, ob jeder, der sie für seine Belange heranzieht, weiß, was hinter diesem Rechtsbegriff steckt. Diese Zweifel haben ihre Ursache in dem Umstand, dass die Verkehrssicherungspflicht nicht gesetzlich geregelt ist, sondern von der Rechtsprechung entwickelt wurde.
Hinweis:
Ob es sich dabei um eine richterliche Rechtsfortbildung oder lediglich um die Auslegung einer allgemeinen Vorschrift, nämlich § 823 BGB, handelt, spielt hier keine Rolle.
Daraus lassen sich die häufig anzutreffenden Missverständnisse erklären. Deshalb ist es notwendig, zunächst den rechtlichen Charakter der Verkehrssicherungspflicht darzulegen. Im Anschluss daran geht es um die Verkehrssicherungspflicht an öffentlichen Verkehrswegen, beschränkt auf die von Bäumen ausgehenden Gefahren. Zum Abschluss folgt ein kurzer Blick auf die Rechtslage bei privatem Grundstückseigentum.
II. Verkehrssicherungspflicht im rechtlichen Sinn
1. Begriff
Grundsätzlich besteht in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens für jedermann die allgemeine Rechtspflicht, Rücksicht auf die Gefährdung anderer zu nehmen. Sie beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (st. Rspr. des BGH, s. nur Urt. v. 15.7.2003 – VI ZR 155/02, juris Rn 6 = NJW-RR 2003, 1459). Diese Pflicht besteht neben vertraglichen und spezialgesetzlichen Schutzpflichten. Sie wird allgemein als "Verkehrssicherungspflicht" bezeichnet und aus § 823 BGB abgeleitet. Gemeint ist nicht nur der Schutz des Verkehrs im engeren Sinn wie der Straßen-, Schienen-, Luft- und Schiffsverkehr, sondern der des Verkehrs im weiteren Sinn, nämlich die unterschiedlichsten Lebensvorgänge.
Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (s. nur BGH, Urt. v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11, juris Rn 6 = VersR 2012, 1528, 1529). Erforderlich ist daher, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können.
Hinweis:
Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Schadensfall ausschließt, nicht möglich ist. Die Formulierung verhindert auch eine Ausuferung der Haftung, indem nicht jede denkbare Gefährdung die Sicherungspflicht auslöst.
Somit beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf die Verpflichtung zum Ergreifen derjenigen Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind. Es müssen solche Gefahren von Dritten abgewendet werden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung – hier von Grundstücken mit Baumbestand – drohen.
2. Verpflichteter
Jeder, der in der Lage ist, über eine bewegliche oder unbewegliche Sache (Grundstück) zu verfügen, hat Gefahren, die von ihr drohen, tunlichst abzuwenden. Somit ist verkehrssicherungspflichtig derjenige, der einen bestimmten räumlichen Sachbereich beherrscht oder eine besondere Gefahrenlage geschaffen hat. Das wird in aller Regel (auch) der Eigentümer der Sache sein. Jedoch knüpft die Verkehrssicherungspflicht nicht in erster Linie an das Eigentum an, sondern an die Beherrschung eines bestimmten Gefahrenbereichs.
Hinweis:
Die Sicherungspflicht beruht nicht auf dem Eigentum, sondern ergibt sich daraus, dass jedermann, der eigene oder fremde Sachen so nutzt, dass dadurch Dritte gefährdet werden können, verpflichtet ist, solche Gefährdungen möglichst auszuschließen.
Auch im öffentlichen Verkehrsraum ist primär der Grundstückseigentümer verkehrssicherungspflichtig. Das ist bei Bundesstraßen die Bundesrepublik Deutschland, bei Landesstraßen das Land, bei Kreisstraßen der Landkreis, bei Gemeindestraßen die Gemeinde, bei Privatstraßen, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, der private Eigentümer. Zusätzlich sind die Regelungen über den Träger der Straßenbaulast maßgebend. Denn diese umfasst alle mit dem Bau und der Unterhaltung von Straßen zusammenhängenden Aufgaben.
Hinweis:
Wer Träger der Straßenbaulast ist, bestimmen das Bundesfernstraßengesetz (dort § 5 Abs. 1 bis 3) und die Straßengesetze der Bundesländer (z.B. §§ 43, 44 StrG BaWü).
3. Geschützter Personenkreis
Die Verkehrssicherungspflicht schützt diejenigen Personen, die mit der Gefahrenquelle in Berührung kommen. Dabei ist es unerheblich, ob sie dafür ein Entgelt bezahlen (z.B. f...