Soweit Vermögen vorhanden ist, muss der Unterhaltspflichtige also auch das Kapital verbrauchen und den Vermögensstamm verwerten, es sei denn, dass dies mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre (OLG München FamRZ 2000, 307). Besondere Billigkeitskriterien, wie sie in § 1581 S. 2 BGB für den Ehegattenunterhalt geregelt sind, sind in § 1603 Abs. 1 BGB nicht vorgesehen. Nicht unterhaltspflichtig ist lediglich, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außerstande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt.
Eine Verwertung des Vermögensstamms scheidet zudem aus, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt (BGH v. 21.11.2012 – XII ZR 150/10, NJW 2013, 301 = FamRZ 2013, 203 m. Anm. Hauß).
Beispiel:
Das unterhaltspflichtige Kind verfügt über eine Lebensversicherung, die in einigen Jahren fällig wird und zur Tilgung einer auf seinem Grundstück lastenden Grundschuld bestimmt ist. Hier ist der Unterhaltspflichtige nicht gehalten, dieses Kapital zur Zahlung von Elternunterhalt einzusetzen.
Praxishinweise:
Hier ist auf den Einzelfall abzustellen; anwaltlicher gut begründeter Sachvortrag ist unverzichtbar!
Neben dem sozialhilferechtliche Schonvermögen ("Notgroschen", s. auch Teil 1 IV. 2.) muss dem Unterhaltsverpflichteten eine deutlich großzügiger zu bemessende Reserve verbleiben (Notbedarfsvermögen). Die Höhe einer weitergehenden allgemeinen Rücklage ist bislang nicht zuverlässig bestimmt. Dem Unterhaltsberechtigten wird eine gewisse Vermögensreserve für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs belassen (BGH, Beschl. v. 29.4.2015 – XII ZB 236/14, FamRZ 2015, 1172 m. Anm. Hauß). Auch beim Unterhaltspflichtigen kann im Grundsatz nichts anderes gelten (BGH, Beschl. v. 7.8.2013 – XII ZB 269/12, FamRZ 2013, 1554 m. Anm. Hauß = NJW 2013, 3024). Auch bei ihm kann sich aus den Wechselfällen des Lebens ein unerwarteter Bedarf ergeben, den er aus seinem laufenden Einkommen nicht zu befriedigen vermag. Die Praxis ist uneinheitlich. Vorgeschlagen wird eine Kapitalreserve vom dreifachen Monatsnettoeinkommen, von mindestens 20.000 EUR oder von 10.000–26.000 EUR, auch um dem durch die Pflegeversicherung nur unzulänglich abgesicherten eigenen Risiko der Folgen der Pflegebedürftigkeit oder der Gefahr einer langjährigen Erkrankung begegnen zu können. Im entschiedenen Fall, in dem der alleinstehende, kinderlose Antragsgegner über ein Erwerbseinkommen unterhalb des Selbstbehalts verfügt, wurde der Betrag von 10.000 EUR als ausreichend angesehen (BGH, Beschl. v. 7.8.2013 – XII ZB 269/12, FamRZ 2013, 1554; v. 29.4.2015 – XII ZB 236/14, FamRZ 2015, 1172 m. Anm. Hauß).
Praxishinweise:
Die Höhe eines Betrags für allgemeine Notfälle lässt sich nach Auffassung des BGH nicht pauschal festlegen; vielmehr hängt es von den – konkret vorzutragenden – Umständen des Einzelfalls, wie den Einkommensverhältnissen und sonstiger Unterhaltsverpflichtungen, ab, in welchem Umfang hierfür Mittel zu belassen sind.
Bei gezielten Rücklagen für bestimmte Investitionen ist Voraussetzung für die Berücksichtigung jedoch, dass der Grund der Investition unterhaltsrechtlich billigenswert ist.
Die Darlegungs- und Beweislast auch hierfür trägt das unterhaltspflichtige Kind, das sich auf eingeschränkte Leistungsfähigkeit beruft (BGH, Beschl. v. 29.4.2015 – XII ZB 236/14, FamRZ 2015, 1172 m. Anm. Hauß).
Beispiele für Notbedarfsvermögen:
Das OLG Düsseldorf hat dem Unterhaltspflichtigen auch eine Rücklage von rund 167.000 EUR für die geplanten und durch Sachverständigen nachgewiesenen Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten an seiner Immobilie belassen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.6.2012 – II-9 UF 190/11, FamRZ 2012, 1651).