Im Grundsatz ist der Anspruch auf Einsicht in die relevanten Messunterlagen im Ermittlungsverfahren gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend zu machen. Im Weigerungsfall ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG der einschlägige Rechtsbehelf. Bei Zurückweisung von Anträgen in der Hauptverhandlung auf Beiziehung der Unterlagen zur Gerichtsakte, Einsichtnahme und Aussetzung der Hauptverhandlung, hat die obergerichtliche Rechtsprechung mit seltenen Ausnahmen bislang im Rahmen der Rechtsbeschwerde nahezu durchgehend einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) abgelehnt. Dies gilt erst recht für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG (Versagung des rechtlichen Gehörs).
In diese vor allem vom OLG Bamberg angeführte Phalanx ist kürzlich durch eine gegenteilige Entscheidung des VerfGH Saarland (NZV 2018, 275 m. Anm. Krenberger = VRR 6/2018, 15 = StRR 6/2018, 22 [jew. Deutscher]) Bewegung gekommen: Der Anspruch des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör ist jedenfalls durch die Nichtherausgabe einer lesbaren Falldatei mit Token-Datei und Passwort sowie der Statistikdatei verletzt. Zudem ist es willkürlich und unfair und begründet einen Gehörsverstoß, wenn nach Nichtzugänglichmachung der Messdaten – in dieser Situation – der Beweisantrag auf Einholung eines technischen Gutachtens zur weiteren Überprüfung der Messung auf Fehlerhaftigkeit mit der Begründung abgelehnt wird, es liege ein standardisiertes Verfahren vor, und damit ausdrücklich oder stillschweigend dem Beschwerdeführer oder der Verteidigung vorgeworfen wird, es seien keine konkreten Anhaltspunkte für Messfehler dargelegt worden. Eine solche Darlegung wäre nämlich erst nach Einsicht in die Messdaten möglich gewesen.
Das OLG Bamberg beharrt allerdings weiterhin auf seinem Standpunkt (NZV 2018, 425 m. Anm. Krenberger = VRR 7/2018, 14 = StRR 7/2018, 23 [jew. Deutscher]). Die Ablehnung eines Antrags des Betroffenen auf Beiziehung, Einsichtnahme oder Überlassung digitaler Messdateien oder weiterer nicht zu den Akten gelangter Messunterlagen verletzt weder das rechtliche Gehör noch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren (ebenso OLG Oldenburg VRR 9/2018, 18 [Deutscher]). Ähnlich das OLG Düsseldorf (VRR 8/2018, 16 [Burhoff]: Der Anspruch muss vor der Hauptverhandlung ggf. über § 62 OWiG geltend gemacht werden) sowie das KG (zfs 2018, 472 m. Anm. Krenberger = VRR 9/2018, 17 [Deutscher]: Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht). Zuvor hatte sich das OLG Karlsruhe (zfs 2018, 471 m. Anm. Krenberger) jedoch anders geäußert: Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren ist es, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötigt, zur Verfügung zu stellen sind. Dazu gehört in Verkehrsordnungswidrigkeitensachen auch die Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts.
Hinweis:
Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Letztlich werden BGH und BVerfG diesen Themenkreis abschließend klären müssen (aktuelle Rechtsprechungsübersicht zur Akteneinsicht im OWi-Verfahren bei Deutscher VRR 10/2018, 4).