Auf der Website des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz steht zu lesen: "Justiz ist für die Menschen da". Die andauernde Corona-Pandemie wird auch für die Justiz zur alltäglichen Herausforderung. Dieser Beitrag soll v.a. Probleme der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit beleuchten.
Bürger, die Anwaltschaft und die Richterschaft sehen sich derzeit u.a. mit folgenden Problemen konfrontiert:
Die Klageverfahren bei den Arbeitsgerichten haben sich deutlich verlängert, oftmals werden Termine aufgehoben und auf unbestimmte Zeit verschoben, solange es keine Eilverfahren sind. Dies gilt auch in Kündigungsschutzverfahren, die eigentlich gem. § 61a ArbGG beschleunigt zu behandeln sind. Hier kann es schon mal vier Monate dauern, bis überhaupt nach Klageeinreichung ein Termin zur Güteverhandlung anberaumt wird. Zur Begründung wird u.a. angeführt, dass nicht genügend Verhandlungssäle zur Verfügung stünden, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Bei großen Gerichten mit zahlreichen Verhandlungssälen überzeugt dies nicht.
Die Verfahren bei den Sozialgerichten haben bereits vor der Pandemie Zeiträume von mindestens ein bis zwei Jahren in Anspruch genommen. Seit der Pandemie finden so gut wie keine mündlichen Verhandlungen mehr statt, obwohl die erforderlichen medizinischen Sachverständigengutachten vorliegen. Terminierungsanfragen der Anwaltschaft werden gar nicht bzw. erst nach Monaten meist abschlägig beantwortet. Auf die Problematik der Notwendigkeit der mündlichen Verhandlung bei den Sozialgerichten hat der Präsident der RAK München und BRAK-Schatzmeister RA Michael Then zuletzt in seinem Editorial in den BRAK-Mitteilungen 10/2020, S. 3 – wenn auch in anderem Zusammenhang – hingewiesen.
Insbesondere die Arbeitsgerichte fordern die Anwaltschaft auf, mit der Gegenseite Kontakt zum Zwecke von Vergleichsverhandlungen aufzunehmen mit dem Ziel einer raschen gütlichen Einigung, die dann i.d.R. gem. § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festgestellt wird. In vielen Fällen mag dies durch das Verhandlungsgeschick und die Erfahrung der Anwaltschaft gelingen, teilweise ist jedoch – je nach Verfahrenssituation – immer noch die Autorität und die Einschätzung des Gerichts notwendig, um zeitnah eine vernünftige Lösung, mit der die Prozessparteien leben können, herbeizuführen.
Auch wird die Anwaltschaft von den Gerichten teilweise dazu aufgefordert, die Partei nicht mit zu einer mündlichen Verhandlung zu nehmen, sofern nicht ausdrücklich das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist. Zur Begründung wird auch hier wieder angeführt, dass dies zur Einhaltung der Abstandsregeln zwingend sei. Es sei ja ausreichend, wenn die Partei während der Gerichtsverhandlung telefonisch erreichbar sei. Dies verkennt allerdings, dass manche Partei es sich nicht nehmen lassen will, an ihrer Gerichtsverhandlung teilzunehmen, und vielleicht auch im Einzelfall die Gelegenheit ergreifen möchte, ihre persönliche Situation dem Gericht mit eigenen Worten zu erläutern. Gerade bei Kündigungsschutzverfahren, Zahlungsklagen und Rentenverfahren befinden sich die Parteien schnell in einer existenzgefährdenden Situation und hoffen darauf, dass rasche Entscheidungen gefällt werden.
Aber nicht nur die Bürger als Prozessparteien, sondern auch die Anwaltschaft spürt die Auswirkungen dieser Entwicklung. So kommt es zu wesentlich längeren Bearbeitungszeiten bei der Festsetzung von Gegenstandswerten für die anwaltliche Tätigkeit, den PKH-Verfahren und noch längeren Wartezeiten auf die Festsetzung und Auszahlung der PKH-Vergütung, da u.a. weder die Rechtspfleger*innen noch die Mitarbeiter*innen einer Geschäftsstelle vom Homeoffice aus Zugriff auf die Akten zur Bearbeitung haben.
Was nützt es, wenn die Anwaltschaft für systemrelevant erklärt wird, wenn v.a. Einzelanwälte, die nicht die bürokratischen Voraussetzungen für die finanziellen Unterstützungsprogramme erfüllen, teilweise in Liquiditätsschwierigkeiten oder gar Existenznöte geraten, da sie wochen-, z.T. sogar monatelang auf Zahlungen aus der Staatskasse warten müssen?
Die Folgen dieser Probleme sind massiv. Bürger bringen der Justiz mit ihrer wichtigen Kontroll- und Regulierungsfunktion weniger Vertrauen entgegen. Dadurch äußern sie auch ihre Zweifel an einer funktionierenden Gewaltenteilung als wichtiges demokratisches Grundprinzip.
Die Anwaltschaft muss sich im Kanzleialltag einem erhöhten Erklärungsaufwand für die Verzögerungen in der Arbeitsweise und die Entscheidungen der Justiz stellen. In Kenntnis dieses Hintergrunds nimmt mancher Bürger sogar gleich Abstand, nicht nur aus Kosten-, sondern nun auch aus Zeitgründen, ein Klageverfahren zu beginnen oder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu stellen.
Insbesondere die faktische Einschränkung der prozessualen Prinzipien, wie der öffentlichen Verhandlung, des Grundsatzes der Mündlichkeit und des Anspruchs auf das rechtliche Gehör, darf keineswegs von Dauer sein. Auch diese elementaren Rechte unterliegen selbstverständlich einer strengen Kontrolle der Verhältn...