Angesichts des zuweilen vermuteten geringen Eifers mancher Berufsträger, der allgemeinen Fortbildungspflicht (§ 43a Abs. 6 BRAO) nachzukommen, mag abschließend noch ein Blick auf die Durchsetzungs- und Sanktionierungsmöglichkeiten geworfen werden. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob die Norm als Berufspflicht oder Zulassungsnorm zu verstehen ist.
Der Wortlaut des § 43f BRAO ist insoweit offen und in seiner knappen Kürze nicht weiterführend. Auch finden sich an anderen Stellen innerhalb der novellierten BRAO keine diesbezüglichen Hinweise. Und die Satzungsversammlung kann durch eine Ergänzung der BORA insoweit nicht zur Klärung beitragen, weil sie für Zulassungsfragen nicht regelungsbefugt ist.
Die systematische Stellung des § 43f BRAO im Dritten Teil der BRAO („Rechte und Pflichten des Rechtsanwalts ...”) und die textliche Nähe zu den §§ 43 ff. BRAO spricht für eine Berufspflicht. Sanktionierbar wäre eine Verletzung des § 43f BRAO Berufspflicht dann wie jede andere auch durch die Kammern, ggf. dann durch die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens (v. Lewinski, Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater, 5. Aufl. 2022, Kap. 15 Rn 74 ff.). Schwer vorstellbar ist freilich, dass wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zum Nachweis des Berufsrechtskenntnisveranstaltungsbesuchs Sanktionen noch über eine Geldbuße hinaus verhältnismäßig wären; bei beharrlicher Weigerung könnte höchstens und auch nur ausnahmsweise an weitergehende Sanktionen wegen querulatorischen Verhaltens gedacht werden.
Eine andere Einordnung könnte sich teleologisch daraus ergeben, wenn man – wie ursprünglich rechtspolitisch ins Spiel gebracht – die Berufsrechtskenntnisse als eine (unechte) Zulassungspflicht interpretieren wollte. Doch wollte der Gesetzgeber zwar einerseits, dass alle neuzugelassenen Anwälte die Berufsrechtskenntnisse nachweisen können, andererseits wollte er ein entsprechendes Ausbildungsziel nicht als solches formulieren, um den über das Zweite Staatsexamen definierte Einheitsjuristen nicht zu relativieren (s.o. IV.). Funktional kann man deshalb von einer (unechten) Zulassungsvoraussetzung sprechen, auch wenn sie erst bis spätestens ein Jahr nach Zulassung nachgewiesen sein muss. Konsequenterweise müsste dann einem ohne „Berufsrechtsschein” zugelassenen Anwalt, der einen solchen innerhalb eines Jahres nicht noch nachreicht, die Zulassung wieder entzogen werden!
Mit Blick auf die auch grundrechtliche geschützte Berufsfreiheit der Anwälte, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die vom Gesetzgeber ausdrücklich gewählte und begründete systematische Stellung der Vorschrift als Berufspflicht sind Verstöße auch nur als solche zu sanktionieren, nicht (auch) mit den Mitteln der Zulassungsrechts.
ZAP F. 23, S. 1107–1114
Von Prof. Dr. Kai von Lewinski, Passau