Nach näherer Maßgabe von § 152 Abs. 1 SGB IX stellen die hierfür zuständigen Behörden auf Antrag der behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Sind neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale – die im Ausweis als Merkzeichen nach § 3 SchwbAwV zu kennzeichnen sind – Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, werden die erforderlichen Feststellungen gem. § 152 Abs. 4 SGB IX im Verfahren nach § 152 Abs. 1 SGB IX getroffen. Die Maßstäbe für die Zuerkennung der jeweiligen Merkzeichen regelt Teil D der Anlage zu § 2 VersMedV, bis auf das Merkzeichen aG, hierzu sogleich.
Durch das Ende 2016 verabschiedete Bundesteilhabegesetz (s. hierzu Siefert, ZAP F. 18, 1549 ff u. 1571 ff., zum Merkzeichen aG S. 1554) hat der Gesetzgeber das gesundheitliche Merkmal „außergewöhnliche Gehbehinderung” (Nachteilsausgleich aG) in § 146 Abs. 3 SGB IX – seit 1.1.2018 unverändert § 229 Abs. 3 SGB IX – neu geregelt. Nach S. 1 der Norm sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können.
Für die Betroffenen ist es wichtig, dass der Gesetzgeber auf die Bezeichnung bestimmter – orthopädischer – Erkrankungen verzichtet hat. Vielmehr hat er in den Sätzen 4 und 5 der Vorschrift aufgenommen, dass die Gehfähigkeit von verschiedensten Gesundheitsstörungen erheblich behindert werden kann, insb. – also nicht ausschließlich – durch Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen und Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems. Diese sind dann als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 des § 229 Abs. 3 SGB IX genannten Beeinträchtigung gleichkommt.
Das LSG Baden-Württemberg hat durch rechtskräftiges Urt. v. 18.2.2021 (L 6 SB 3843/19, ASR 2021, 130) die neue Rechtslage ausführlich dargestellt und den Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des Nachteilsausgleichs aG bejaht. Es hat hierbei die gesundheitlichen Voraussetzungen dieses Nachteilsausgleichs nach dessen Sinn und Zweck (Ausgleich der behinderungsbedingten Mobilitäteinschränkung und damit verbundene Inklusion schwerbehinderter Menschen in die Gesellschaft) ausgelegt und entschieden, maßgeblich sei, in welchem Ausmaß das Gehvermögen in einer dem schwerbehinderten Menschen fremden Umgebung eingeschränkt ist. Ob das Gehvermögen in einer vertrauten Umgebung in weiterem Umfang bestehe, sei unerheblich.