Ein schriftlicher oder schriftlich bestätigter Verwaltungsakt muss nach § 36 S. 1 SGB X eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, in der der „beschwerte Beteiligte über den Rechtsbehelf und die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, deren Sitz, die einzuhaltende Frist und die Form schriftlich zu belehren” ist. Bei elektronisch erlassenen oder elektronisch bestätigten Verwaltungsakten muss die Rechtsbehelfsbelehrung elektronisch erfolgen, § 36 S. 2 SGB X. Fehlt die Rechtsbehelfsbelehrung oder ist sie unrichtig, beginnt die Frist für den Rechtsbehelf nicht zu laufen, § 66 Abs. 1 SGG. Der Rechtsbehelf kann dann innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes eingelegt werden. Nach § 36a Abs. 1 SGB I ist „die Übermittlung elektronischer Dokumente [...] zulässig, soweit hierfür der Zugang eröffnet ist”. Ob auch hierauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen ist, war Gegenstand eines Verfahrens vor dem Schleswig-Holsteinischen LSG (Beschl. v. 6.5.2021 – L 6 AS 64/21 B ER). In dem Beschluss nahm das Gericht zudem zu den Anforderungen an die Eröffnung des Zugangs für elektronische Dokumente und zur Zulässigkeit des Ausschlusses von Naturparteien von der Widerspruchseinlegung in elektronischer Form Stellung.
Der Antragsgegner nimmt seit dem 15.1.2018 am elektronischen Rechtsverkehr mittels eines elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfaches teil. Die Behördenadresse ist im EGVP-Verzeichnis gelistet. Der Empfang von E-Mails mit elektronischer Signatur (De-Mail) ist dagegen nicht möglich. Der Antragsgegner forderte durch Bescheide vom 21.10.2020 von den Antragstellern die Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. insgesamt 1.878,27 EUR. Im Briefkopf des Antragsgegners wurde die Behördenbezeichnung, die Durchwahl, die Telefaxnummer und eine E-Mail-Adresse angegeben. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Antragsgegners wurde u.a. ausgeführt:
Zitat
„Soweit der Widerspruch durch eine/n Bevollmächtigte Rechtsanwältin/Rechtsanwalt eingelegt wird, kann diese/r zur wirksamen Ersetzung der Schriftform den Widerspruch als elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, auch über das besondere Anwaltspostfach (beA), übermitteln.”
Den durch den anwaltlichen Bevollmächtigten gegen die Bescheide eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 20.1.2021 wegen Verfristung als unzulässig zurück. Hiergegen wurde Klage erhoben und zusätzlich ein entsprechender Eilantrag gestellt. Im Verfahren zum Eilantrag stellte das SG fest, dass die gegen die Erstattungsbescheide erhobene Klage aufschiebende Wirkung hat. Da die Rechtsbehelfsbelehrung in den Erstattungsbescheiden unvollständig sei, betrage die Widerspruchsfrist nach § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr, sodass der Widerspruch fristgerecht eingelegt worden sei. Der Anspruchsgegner wandte sich hiergegen mit seiner Beschwerde vom 26.4.2021.
Das LSG wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Auch das LSG gelangte zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des Antragsgegners unzutreffend war. In dieser sei nicht darüber belehrt worden, dass die Antragsteller den Widerspruch elektronisch einreichen können. Daraus, dass die Antragsteller in der Rechtsbehelfsbelehrung zur elektronischen Form nicht erwähnt werden, folgerte das Gericht, dass Naturparteien Widersprüche über das EGVP nicht einlegen können sollten, was § 36a Abs. 1 SGB I nicht entspreche. Von Eröffnung des Zugangs für die Übermittlung elektronischer Dokumente i.S.d. Vorschrift ist nach den Ausführungen des LSG auszugehen, wenn die Möglichkeit der Nutzung der digitalen Behördenadressen besteht. Hierfür sei ausreichend, dass der Antragsgegner sich mit der Aufnahme der Behördenadresse in das Adressverzeichnis des EGVP empfangsbereit gezeigt hat. Nicht erforderlich sei, dass die Behörde aktiv handele, dies wolle oder auf der Homepage oder in Merkblättern auf diesen Zugang hinweise (a.A. SG Lübeck, Urt. v. 16.10.2020 – S 16 A S 116/19). Es komme nur darauf an, dass ein für Bürger als auch für Rechtsanwälte zugängliches elektronisches Behördenpostfach eingerichtet wurde.
Der zugangsberechtigte Personenkreis kann nach den Ausführungen nicht eingeschränkt werden. Auch für Naturparteien bestehe die Möglichkeit eine elektronische Signaturkarte bei der Bundesnotarkammer zu erwerben und damit den EGVP des Antragsgegners rechtswirksam zu nutzen. Deshalb müsse in der Rechtsbehelfsbelehrung auf diese Möglichkeit hingewiesen werden.
ZAP F. 18, S. 1089–1106
Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht und für Arbeitsrecht Dr. Ulrich Sartorius, Breisach und Prof. Dr. Jürgen Winkler, Katholische Hochschule Freiburg