Antragsteller und Empfänger von Sozialleistungen müssen bei der Feststellung des Sachverhalts mitwirken, §§ 60 ff. SGB I. Wird einer Mitwirkungsobliegenheit nicht entsprochen, können die Leistungen nach entsprechender Belehrung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden (§ 66 SGB I). Bei Nachholung der Mitwirkung kann die Leistung ganz oder teilweise rückwirkend erbracht werden (§ 67 SGB I). Das BSG hatte in dem hier zu besprechenden Urt. v. 26.11.2020 – B 14 AS 13/19 R (siehe hierzu auch Wagner, jurisPR-SozR 13/2021 Anm. 2) zu klären, ob die Träger nach dem SGB II berechtigt sind, Leistungen zu versagen oder zu entziehen, wenn die leistungsberechtigte Person bei der Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme zur Erwerbsfähigkeit nach dem SGB II durch den Rentenversicherungsträger nicht mitwirken.
Die Klägerin erhielt seit dem Jahr 2005 Leistungen nach dem SGB II. In einem Gutachten nach Aktenlage vom 27.9.2010 stellte der ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit fest, dass sie kein ausreichendes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat. Der Sozialhilfeträger legte am 12.12.2011 hiergegen Widerspruch ein. Die Deutsche Rentenversicherung wurde um eine gutachterliche Stellungnahme durch Schreiben vom 28.11.2012 gebeten. Diese forderte hierfür die Vorlage des vollständigen Gutachtens des ärztlichen Dienstes des Beklagten. Dem stimmte die Klägerin nicht zu. Sie begründete dies damit, dass „das Gutachten falsch und ohne ihr Wissen erstellt worden sei”. Sie übersandte ein Attest ihres Hausarztes und Unterlagen des Universitätsklinikums. Im Februar 2014 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung ihrer Leistungen. Der Beklagte forderte sie mit Belehrung über die Folgen einer unterbleibenden Mitwirkung, wie bereits zuvor mehrfach, auf in die Übermittlung des vollständigen Gutachtens einzuwilligen. Nach fruchtlosem Fristablauf versagte der Beklagte die Leistungen ab dem 1.2.2014 ganz. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Klägerin rügte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision die Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, von § 67 SGB X sowie der §§ 66, 60 SGB I.
Das BSG musste zunächst klären, ob die §§ 60 ff. SGB I im Verfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs. 1-3 SGB II anzuwenden sind.
Hinweise:
Ob Erwerbsfähigkeit vorliegt, ist entscheidend dafür, welcher Sozialleistungsträger Leistungen gewähren muss. Ist der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht in der Lage, zu den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten, scheidet ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus (vgl. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 8 SGB II). Es kommt dann aber ein Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff. SGB XII in Betracht.
Das Verfahren nach § 44a Abs. 1-3 SGB II dient der Beilegung eines Streits zwischen dem Jobcenter und anderen Leistungsträgern bezüglich der Erwerbsfähigkeit. Nach § 44a Abs. 1 S. 1 SGB II muss zunächst die Agentur für Arbeit die Erwerbsfähigkeit feststellen. Ist ein anderer Leistungsträger hiermit nicht einverstanden, kann er Widerspruch einlegen. In diesem Fall muss der Rentenversicherungsträger eine gutachterliche Stellungnahme dazu einholen, „ob hilfebedürftige Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig i.S.d. § 8 des Zweiten Buches sind” (§ 109a Abs. 3 S. 1 SGB VI). Steht volle Erwerbsminderung i.S.v. § 43 Abs. 2 S. 2 SGB II fest, muss weiter geprüft werden, ob die Behebung der vollen Erwerbsminderung unwahrscheinlich ist (§ 109a Abs. 3 S. 2 SGB VI).
Solange dieser Streit nicht entschieden ist, muss das Jobcenter aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II Leistungen weiter gewähren (s. hierzu auch BSG 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231 Rn 19 ff.).
Sowohl bei der Feststellung der Erwerbsfähigkeit durch die Agentur für Arbeit als auch durch den Rentenversicherungsträger handelt es sich nicht um ein selbstständiges Verfahren, sondern um die Klärung von Vorfragen für die Leistungsbewilligung (Urteilsgründe Rn 19).
Das BSG bejahte die Anwendbarkeit der §§ 60 ff. SGB I im Verfahren zur Feststellung von Erwerbsfähigkeit nach § 44a Abs. 1-3 SGB II. Da das SGB II keine eigenständige Regelung hierzu enthält, richtet sich die Mitwirkung der leistungsberechtigten Person nach den allgemeinen Vorschriften des SGB I und des SGB X.
Hinweis:
Dies folgt aus § 37 S. 1 SGB I. Nach dieser Vorschrift gelten das SGB I und das SGB X für alle, einschließlich der in den durch § 68 SGB I in das SGB einbezogenen Gesetze, geregelten Sozialleistungsbereiche, soweit sich aus den übrigen Büchern des SGB nichts Abweichendes ergibt.
Nach den Ausführungen des BSG steht auch die Nahtlosigkeitsregelung in § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II der Anwendung der §§ 60 ff. SGB I nicht entgegen. Mit dieser Regelung solle verhindert werden, dass ein Zuständigkeitsstreit zwischen den Leistungsträgern zu Lasten der leistungsberechtigten Person geht (BSG v. 7.11...