Ausbildungsgeld nach dem SGB III/Anrechnung von Elterneinkommen
Der im Jahre 1998 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er begann im August 2015 eine Ausbildung zum „Fachinformatiker Systemintegration”. Er lebt mit seiner Mutter und seinem Bruder zusammen sowie mit dem Ehemann der Mutter, der nicht der Vater des Klägers ist. Der Bruder des Klägers und seine Mutter sind ebenfalls als schwerbehinderte Menschen anerkannt.
Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1 SGB III haben behinderte Menschen Anspruch auf Ausbildungsgeld u.a. während einer Berufsausbildung. Das Ausbildungsgeld dient der Sicherung des Lebensunterhalts während der Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen. Es handelt sich hierbei um eine bedarfsorientierte, spezifische Leistung des Arbeitsförderungsrechts, die ihrer Art nach von anderen Rehabilitationsträgern nicht gewährt wird, s. näher Bienert in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl. § 122 Rn 2.
Es bestand vorliegend kein Streit darüber, dass der Kläger dem Grunde nach leistungsberechtigt war.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ging jedoch davon aus, das zu berücksichtigende Einkommen der Mutter übersteige die Freibeträge gem. § 126 Abs. 2 Nr. 2 SGB III, eine Norm, die insoweit eine abschließende Regelung treffe. Die Vorinstanzen hatten hingegen die Auffassung vertreten, bei der Gewährung von Ausbildungsgeld sei die Härteklausel des § 25 Abs. 6 BAföG anzuwenden. Hiernach können abweichend von den ihr vorangehenden Vorschriften des BAföG zur Einkommensanrechnung (§§ 21 ff. BAföG) weitere Teile des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Gemäß Satz 2 der Bestimmung fallen hierunter insb. außergewöhnliche Belastungen nach §§ 33-33b EStG sowie Aufwendungen für behinderte Personen, denen Einkommensbezieher nach dem bürgerlichen Recht unterhaltspflichtig sind. Das BSG folgt dem und weist die Revision der BA gegen das LSG-Urteil zurück (14.10.2020 – B 11 AL 2/20 R; dem zustimmend Kellner, NZS 2021, 611).
Nach § 122 Abs. 2 SGB III gelten, soweit in den nachfolgenden Bestimmungen nichts Abweichendes bestimmt ist, für das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe (§ 56 ff SGB III) entsprechend. § 67 Abs. 2 S. 1 SGB III verweist für die Ermittlung des Einkommens und dessen Anrechnung sowie die Berücksichtigung von Freibeträgen u.a. auf die Vorschriften des Vierten Abschnitt des BAföG (also auf die §§ 21-25 BAföG). Zwar enthält § 126 SGB III für Fragen der Anrechnung von Einkommen und Freibeträgen eine abweichende Bestimmung i.S.v. § 122 Abs. 2 SGB III und ist insofern lex spezialis. Das zwischen dieser Vorschrift und § 25 BAföG bestehende Spezialitätsverhältnis sperrt jedoch, so das BSG, nicht den Rückgriff auf die Härteklausel der Vorschrift des § 25 Abs. 6 BAföG; ebenso die überwiegende Auffassung in der Literatur (s. etwa Bienert in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz SGB III, 7. Aufl. 2020, § 126 Rn 6). Dieses Ergebnis entnimmt das BSG u.a. der Berücksichtigung des Umstands, dass die Einkommensberücksichtigung nach § 126 SGB III dem Grunde nach für die Betroffenen günstiger sei, als diejenige nach § 25 BAföG. Soweit früheren Entscheidung des Senats vom 14.5.2014 – B 11 AL3/13 R und B 11 AL 20/13 R anderes entnommen werden könnte, werde hieran nicht festgehalten.
Das Gericht folgt dem LSG auch insoweit, als im vorliegenden Fall die Härtefallklausel des § 25 Abs. 6 BAföG – deren Anwendung grds. im Ermessen der Behörde steht – eingreifen könnte. An das dort statuierte Merkmal der unbilligen Härte sind generell erhebliche Anforderungen zu stellen. Diese sind vorliegend erfüllt, weil bei der Mutter des Klägers eine Behinderung anerkannt ist, sodass zu ihren Gunsten als außergewöhnliche Belastungen jedenfalls die Pauschbeträge nach Maßgabe des § 33b EStG – diese Beträge wurden aktuell erhöht, s. hierzu unten V. 2. – zu berücksichtigen sind. Es entspricht ebenso der Rechtsprechung des BVerwG, dass solche außergewöhnlichen Belastungen eine unbillige Härte darstellen können, die § 25 Abs. 6 BAföG vermeiden soll (s. etwa BVerwG, Urt. v.17.7.1998 – 5 C 14/97, juris Rn 12).