1. Unfall i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII – auch bei alltäglichen Vorgängen möglich
Die Klägerin war als Bankkauffrau beschäftigt. Auf ihrem Schreibtischstuhl sitzend kollabierte sie am Arbeitsplatz am 12.4.2010 und wurde von dem herbeigerufenen Notarzt reanimiert, anschließend wurde ihr im Krankenhaus ein Defibrillator implantiert. An dem Unfalltag war nach Geschäftsschluss eine Kassendifferenz festgestellt worden. Die Klägerin behauptete, sie habe an diesem Tag mit dem aushilfsweise als Filialleiter tätigen Kollegen ein Streitgespräch geführt, weil dieser für die Kassendifferenz einen Kollegen verantwortlich machen wollte. Sie habe jedoch diesen Mitarbeiter in Schutz nehmen wollen und eine Meldung nicht für notwendig gehalten. Nach der Auseinandersetzung sei sie dann an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt und dort kollabiert. Sie habe einen „Herzstillstand” erlitten.
Die BG und die Vorinstanzen lehnten eine Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII ab, im Wesentlichen mit dem Hinweis, ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen liege nicht vor. Die Revision der Klägerin war i.S.d. Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs. 2 S. 2 SGG) begründet (BSG, Beschl. v. 6.5.2021 – B 2 U 15/19 B). Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichten für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Das BSG entscheidet, entgegen der Annahme des LSG sei für den Unfallbegriff nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliege. Vielmehr genüge als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis auch ein alltäglicher Vorgang, sodass von einem Unfall auch dann auszugehen ist, wenn durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Tasten, Riechen) sich der physiologische Zustand des Verletzten ändert. Ein solches Ereignis hat hier mit dem intensiven Gespräch der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten bestanden. Allerdings sei zu klären, ob die Klägerin zum Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) ausübte. Diese erfordert das Vorliegen einer Verrichtung, deren Ergebnis nicht den Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereicht. Sie wird dann ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen oder unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis auszuüben. Gleiches gilt, wenn der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht.
Insofern wird das LSG noch die konkreten Umstände des Gesprächs der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten zu ermitteln haben (hierzu gibt das BSG in Rn 15-17 einzelfallbezogene Hinweise). Ferner muss das Berufungsgericht feststellen, welche Gesundheitsstörungen mit dem Kollabieren am Unfalltag einherging und welcher Gesundheitsschaden dadurch, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht, eingetreten ist, s. hierzu Rn 20 f. des Urteils.
2. Änderungen im SGB VII
Der digitale Wandel in der Arbeitswelt hat zu einer zeitlichen und räumlichen Entgrenzung der Arbeit geführt. Zusätzlich hat die Corona-Pandemie vermehrtes Arbeiten im Homeoffice (z.T. auch als Telearbeit bezeichnet) bewirkt. Geschieht dies in persönlicher Abhängigkeit, unterfällt sie grds. als Beschäftigung dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Im Einzelfall können sich schwierige Abgrenzungsfragen ergeben (s. etwa BSG v. 27.11.2018 – B 2 U 8/17 R und B 2 U 28/17 R; ferner Spellbrink, NZS 2016, 527 mit zahlreichen Beispielen). Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz v. 14.6.2021 – BGBl I, 1762 – in Kraft seit dem 18.6.2021 – hat nunmehr in Art. 5 zu Änderungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geführt. Diese bezwecken eine Gleichstellung von Beschäftigten im Homeoffice und im Betrieb.
So bestimmt jetzt in § 8 Abs. 1 SGB VII der neu eingefügte Satz 3: „Wird eine versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.” Damit können künftig etwa Stürze als Arbeitsunfall anerkannt werden, die Beschäftigte im Homeoffice auf dem Weg vom Schreibtisch zur oder von der Toilette erleiden und sich verletzen.
Eine weitere Änderung betrifft den in § 8 Abs. 2 SGB VII geregelten Wegeunfall § 8 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII, der die Voraussetzungen dafür festlegt, wann Wege bei der Unterbringung von Kindern durch einen Elternteil versichert sind, wird durch Nr. 2a in der Weise ergänzt, dass Versicherungsschutz auch besteht beim „Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nr. 2 Buchst. a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird”. Damit sind nunmehr auch Wege vom Arbeitsplatz zu Hause zur Kita und zurück versichert.
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