Beispiel:
Die Mutter M des bei ihr lebenden Kindes K1 macht Unterhalt gegen den Kindesvater V geltend. Der Vater V des Kindes K hat geheiratet und lebt mit seiner Ehefrau EF zusammen, die über Erwerbseinkommen verfügt. Aus dieser Ehe ist Kind K2 hervorgegangen. Der Kindesvater beruft sich darauf, dass er in seiner neuen Ehe die Aufgabe der Kinderbetreuung und Haushaltsführung übernommen habe und daher keiner Erwerbstätigkeit nachgehen könne und müsse. Daher sei er unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig.
Hier scheidet der direkte Rückgriff auf ein fiktives Einkommen wegen der Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit aus, soweit der barunterhaltspflichtige Elternteil mit seiner Übernahme der Kindesbetreuung einen unterhaltsrechtlich zu akzeptierenden Grund für seinen – völligen oder teilweisen – Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit vorweisen kann.
Mit diesen Lebenssituationen im Falle einer erneuten Heirat des Kindesvaters hat sich der BGH in seiner sog. Hausmannrechtsprechung befasst.
Nach § 1360 BGB sind beide Ehegatten verpflichtet, die Familie durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen angemessen zu unterhalten. Es steht den Ehegatten jedoch frei, ihre Ehe so zu führen, dass ein Partner allein einer Berufstätigkeit nachgeht und der andere sich der Familienarbeit widmet. Ebenso können sie sich dafür entscheiden, beide einen Beruf ganz oder teilweise auszuüben und sich die Hausarbeit und Kinderbetreuung zu teilen oder diese durch Dritte ausführen zu lassen (BGH, Urt. v. 21.1.2009 – XII ZR 54/06, FamRZ 2009, 762; BGH, Urt. v. 15.10.2003 – XII ZR 122/00, FamRZ 2004, 366, 369). Daher sind die Partner der neuen Ehe nicht gehindert, die Gestaltung ihrer Ehe selbst zu regeln und die jeweilige Rolle des Partners frei zu wählen.
Jedoch darf diese Gestaltung der jetzigen Ehe durch die konkrete Rollenwahl der Ehegatten keinen nachteiligen Einfluss auf den Kindesunterhalt haben. Die Mitwirkung an einer solchen Gestaltung kann einem Ehegatten jedenfalls im Verhältnis zu seinen unterhaltsberechtigten minderjährigen Kindern aus einer früheren Beziehung oder Ehe – hier also im Fallbeispiel K1 – nach Treu und Glauben u.U. verwehrt sein (BGH, Urt. v. 25.4.2007 – XII ZR 189/04, FamRZ 2007, 1081, 1082).
Wären aus der neuen Ehe keine betreuungsbedürftigen Kinder hervorgegangen, so könnte sich der unterhaltspflichtige Elternteil gegenüber seinem minderjährigen Kind aus der früheren Beziehung regelmäßig nicht auf eine Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit durch die Rollenwahl der Haushaltsführung berufen (BGH, Urt. v. 18.10.2000 – XII ZR 191/98, FamRZ 2001, 1065). Der BGH betont hier die gewandelte soziale Wirklichkeit, dass normalerweise ein Ehepartner nur dann auf eine eigene Erwerbstätigkeit verzichtet, wenn dies wegen der Betreuung minderjähriger Kinder notwendig ist. Vielmehr müsste er sich ggf. fiktive Einkünfte zurechnen lassen, aus denen die Unterhaltspflicht gegenüber seinem Kind zu erfüllen ist. Dabei ist unerheblich, ob er jetzt in einer Ehe oder in einer nichtehelichen Beziehung lebt.
Auch wenn der unterhaltspflichtige Elternteil – hier V – ein Kind aus einer neuen Beziehung hat, so kann er sich ebenfalls gegenüber dem Unterhaltsverlangen des Kindes K1 aus erster Ehe nicht ohne Weiteres auf mangelnde Leistungsfähigkeit berufen. Denn die beiden Kinder aus der früheren und der neuen Beziehung sind unterhaltsrechtlich gleichrangig (§ 1609 BGB). Trotz neuer Eheschließung bleibt ein Elternteil einem minderjährigen Kind aus erster Ehe oder einer früheren unverheirateten Beziehung, das vom anderen Elternteil betreut wird, gegenüber barunterhaltspflichtig, auch wenn er im Einvernehmen mit dem neuen Partner die Haushaltsführung und ggf. die Kindesbetreuung des jüngeren Kindes aus dieser Beziehung – also K2 – übernimmt (BGH, Beschl. v. 11.2.2015 – XII ZB 181/14, NJW 2015, 1178 m.w.N.). Dies hat der BGH in der sog. Hausmann-/Hausfrauenrechtsprechung herausgearbeitet (grundlegend BGH, Urt. v. 7.11.1979 – IV ZR 96/78, BGHZ 75, 272–279; BGH, Urt. v. 12.4.2006 – XII ZR 31/04, FamRZ 2006, 1010 m. Anm. Borth; BGH, Urt. v. 5.10.2006 – XII ZR 197/02, FamRZ 2006, 1827). Diese Rechtsprechung gilt selbst dann, wenn er drei minderjährige Kinder (davon eines im Säuglingsalter) aus seiner neuen Verbindung betreut (OLG Celle, Beschl. v. 17.12.2012 – 12 WF 258/12, FamRZ 2013, 1140).
Für die Behandlung dieser Fälle gibt die Rechtsprechung folgende Prüfungsreihenfolge vor:
a) Prüfung der getätigten Rollenwahl
In einem ersten Schritt muss geprüft werden, ob die zwischen dem gegenüber K1 unterhaltspflichtigen Vater und der Mutter von K2 getätigte Rollenwahl aus unterhaltsrechtlicher Sicht akzeptiert werden kann.
Nach der Rechtsprechung kann die Beschränkung eines unterhaltspflichtigen Elternteils auf die Rolle des Hausmanns bzw. der Hausfrau allenfalls unter engen Voraussetzungen aus unterhaltsrechtlicher Sicht akzeptiert werden. Die Kinder aus der geschiedenen Ehe bzw. früheren Beziehung müssen die mit der Rollenwahl verbundene Reduzierung der Einkünfte und damit ihres Unterhalts nur dann hinneh...