a) Barunterhaltspflichtiger Elternteil genügt seiner Erwerbsobliegenheit nicht
Für den barunterhaltspflichtigen Elternteil besteht eine vollschichtige Erwerbsobliegenheit. Darüber hinausgehend kann dieser Elternteil aufgrund der verschärften Haftung gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber Minderjährigen auch zu einer Nebentätigkeit verpflichtet sein, wenn sein reguläres Einkommen nicht reicht, um wenigstens den Mindestunterhalt des Kindes zu decken (BGH, Beschl. v. 24.9.2014 – XII ZB 111/13, FamRZ 2014, 1992; NJW 2014, 3784, ausführlich Viefhues jurisPK BGB, 2020, § 1603 Rn 962 ff.).
Wenn der unterhaltspflichtige Elternteil eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des BGH nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktive Einkünfte berücksichtigt werden, die er bei zumutbarem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielen könnte (BGH, Beschl. v. 19.6.2013 – XII ZB 39/11, juris; NJW 2013, 2595 m.w.N., Einzelheiten zum fiktiven Einkommen s. Viefhues FuR 2015, 66; Wönne FF 2013, 476; Jüdt FuR 2012, 520; Graba FamRZ 2001, 1257). Denn für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Elternteils kommt es nicht nur auf sein tatsächlich erzieltes Einkommen an, sondern es kann auch auf das Einkommen abgestellt werden, dass er bei zumutbarem Einsatz seiner Arbeitskraft – also bei Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheit – erzielen könnte. Die Darlegungslast liegt auch hier beim Unterhaltspflichtigen.
b) Ehegattenunterhalt ist gegenüber dem Minderjährigenunterhalt nicht abzugsfähig
Beispiel:
Der Ex-Ehemann und Vater V des Kindes K hat wieder geheiratet und lebt mit seiner neuen Ehefrau EF zusammen. Die Mutter M des bei ihr lebenden Kindes K macht Unterhalt gegen den Kindesvater V geltend. Der Kindesvater beruft sich darauf, dass er jetzt seine neue Ehefrau EF unterhalten müsse, die keiner Erwerbstätigkeit
Auch hier gilt der Grundsatz des § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB mit der Folge, dass der betreuende Elternteil – also die M – seiner Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, i.d.R. durch die Pflege und die Erziehung des Kindes erfüllt. Damit ist der in der neuen (Patchwork-)Beziehung lebende Elternteil – also V – allein zum Barunterhalt verpflichtet. Zwar können auch Unterhaltsansprüche einer neuen Ehefrau bestehen (als Familienunterhalt nach § 1360 BGB). Der Minderjährigenunterhalt geht jedoch nach § 1609 BGB im Rang diesen Ansprüchen vor, sodass die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des für den vorrangigen Barunterhalt des minderjährigen Kindes haftenden Elternteils dadurch nicht beeinträchtigt wird.
c) Trotz Erfüllung seiner Erwerbsobliegenheit erzielt der Unterhaltspflichtige kein ausreichendes Einkommen
Beispiel:
Der Kindesvater V geht einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit und einer angemessenen Nebentätigkeit nach, sein Einkommen ist aber dennoch so gering, dass er bei Wahrung seines Selbstbehalts den Mindestunterhalt seines minderjährigen Kindes nicht leisten kann. Seine Ehefrau verfügt über Einkommen.
Hier geht es in der Praxis um die Frage, ob und ggf. wie das Einkommen der Ehefrau des unterhaltspflichtigen Elternteils für den Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes „nutzbar gemacht” werden kann. Eine Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau des Unterhaltspflichtigen gegenüber dem minderjährigen Kind aus einer früheren Beziehung besteht allerdings nicht. Dennoch ist das Einkommen der Ehefrau des unterhaltspflichtigen Elternteils in der Praxis für die Unterhaltsbemessung von großer Bedeutung.
Der Selbstbehalt wird bei der Unterhaltsberechnung dem Unterhaltspflichtigen zugestanden, da ihm ausreichende Mittel zur Deckung seines angemessenen Eigenbedarfs verbleiben müssen. Bei dieser Fallkonstellation ist jedoch bei einem verheirateten Unterhaltspflichtigen dessen Familienunterhaltsanspruch gegen seinen Ehegatten von Bedeutung. Denn soweit sein eigener Unterhalt über den Familienunterhalt durch das Einkommen seines Ehegatten vollständig gesichert ist (BGH, Urt. v. 15.3.2006 – XII ZR 30/04, NJW 2006, 1654; FamRZ 2006, 683; BGH, Urt. v. 12.4.2006 – XII ZR 31/04, FamRZ 2006, 1010; BGH, Versäumnisurt. v. 12.11.2003 – XII ZR 111/01, FamRZ 2004, 364; OLG Koblenz, Urt. v. 6.8.2003 – 9 UF 187/03, FamRZ 2004, 300), hat der verheiratete Elternteil sein Arbeitseinkommen auch über die Grenze des eigenen Selbstbehalts hinaus zur Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern zu verwenden (BGH, Urt. v. 19.11.1997 – XII ZR 1/96, NJW-RR 1998, 505–507; BGH, Urt. v. 20.3.2002 – XII ZR 216/00, NJW 2002, 1646 ff.; BGH, Urt. v. 12.4.2006 – XII ZR 31/04, FamRZ 2006, 1010). Daher kann sein Einkommen in vollem Umfang für den Kindesunterhalt eingesetzt werden, ohne dass er sich auf seinen notwendigen Selbstbehalt zur Abwehr dieses Anspruchs berufen kann.