Die Fachgerichte sind dieser Vorgabe gefolgt. Das Einsichtsrecht der Verteidigung bzgl. der Wartungsunterlagen erstreckt sich nicht nur auf den Zeitraum zwischen der letzten Eichung und dem Tag der Geschwindigkeitsmessung, sondern vielmehr bis zur etwaigen nachfolgenden Neueichung bzw. bis zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung. Es umfasst auch nicht eichrechtlich relevante Unterlagen wie etwa die Bedienungsanleitung, die ggf. als Kopie zu überlassen ist. Auf nicht bei der Behörde befindliche Daten und Unterlagen erstreckt sich das Akteneinsichtsrecht nicht. Das AG muss solche Daten und Unterlagen nicht von sich aus beschaffen (OLG Celle NZV 2022, 347 [Krenberger] = VRR 5/2022, 28 [Burhoff]). Dem Betroffenen steht es frei, die Messdatei anzufordern und selbst auszuwerten. Die Auswertung ist kein einmaliger Vorgang, welcher – entsprechend einem standardisierten Messverfahren – mittels geschulten Personals an geeichten Geräten und entsprechend der Bedienungsanleitung durchgeführt werden muss, sondern ein solcher, welcher zur Prüfung der Richtigkeit jederzeit wiederholt werden kann und entsprechenden Vorgaben gerade nicht unterliegt (AG Schwelm zfs 2022, 354 m. Anm. Krenberger).
Der BGH (NZV 2022, 287 m. Anm. Krenberger = DAR 2022, 350 m. Anm. Niehaus = zfs 2022, 347 = VRR 5/2022, 22 = StRR 6/2022, 31 [jew. Niehaus]) hat die Vorlage des OLG Zweibrücken (DAR 2021, 399 = zfs 2021, 349 = VRR 7/2021, 22 [Niehaus]) zu einem Anspruch auf Einsicht in die gesamte Messreihe des Tattages mangels rechtlicher Divergenz zurückgewiesen. Die Entscheidung über die weitere Vorlage des OLG Koblenz (DAR 2022, 218 = zfs 2022, 289 = VRR 3/2022, 29 = StRR 4/2022, 41 [jew. Niehaus]) steht noch aus (s.a. AG Ellwangen zfs 2022, 533).
Dass bei einem standardisierten Messverfahren (hier: PoliScan FM1, Softwareversion 4.4.9) Messdaten nicht gespeichert werden, führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Die Verwertbarkeit des Messergebnisses hängt nicht von der Rekonstruierbarkeit des Messvorgangs anhand gespeicherter Messdaten ab (OLG Düsseldorf zfs 2022, 350). Die Entscheidung des BVerfG über eine einschlägige Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1167/20) steht noch aus. Hierzu auch der VerfGH Rheinland-Pfalz (NZV 2022, 427 m. Anm. Sandherr = DAR 2022, 503 m. Anm. Weigel = VRR 9/2022, 21 = StRR 9/2022, 35 [jew. Niehaus]): Der aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgende Gedanke der Waffengleichheit bezieht sich auf vorhandene Informationen. Die begehrten Inhalte müssen zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sein, damit sie dem Betroffenen zur Herstellung einer Parität des Wissens überlassen werden können. Demgegenüber kommt der Aspekt der Waffengleichheit bei tatsächlich nicht (mehr) vorhandenen Rohmessdaten nicht zum Tragen, da diese Daten zwar kurzzeitig bei dem Rechenvorgang des Messgerätes bestanden haben, aber im weiteren Verfahren weder dem Betroffenen noch der Bußgeldstelle, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht zur Verfügung stehen.
Wird als Behinderung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt beanstandet, dass Messunterlagen nicht beigezogen worden sind, bedarf es des ins Einzelne gehenden Vortrags dazu, welche Unterlagen bereits vorlagen und welche Unterlagen noch vermisst wurden (OLG Köln zfs 2022, 411). Das LG Memmingen (DAR 2022, 404) sieht eine Beschwerde gegen die abgelehnte Beiziehung von Messunterlagen wegen der Sperre des § 305 S. 1 StPO als unzulässig an.
Hinweis:
Die Einsichtsrechte in die Messunterlagen im Fall der Verwendung standardisierter Messverfahren werden eingehend dargestellt von Niehaus zfs 2022, 484.