1. Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB)
Ein dringender Tatverdacht für eine Trunkenheitsfahrt i.S.d. § 316 Abs. 1 StGB, ergibt sich bei einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,1 Promille (hier: 0,37 Promille) beim Vorhandensein alkoholbedingter Ausfallerscheinungen. Der Schluss aus einem Fehlverhalten im Straßenverkehr (hier: Wenden auf einer vierspurigen Bundesstraße, um zu einer verpassten Autobahnauffahrt zurückzufahren) auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit setzt die sichere Feststellung voraus, dass es Folge des Alkoholgenusses ist. Bei der Beurteilung kommt es wesentlich darauf an, ob es sich um einen alkoholtypischen Fahrfehler handelt. Je weiter die festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille entfernt ist, desto höher sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (LG Koblenz Blutalkohol 59 2022, 53 = VRR 7/2022, 19 = StRR 7/2022, 29 [jew. Burhoff]; zur Widerlegung eines Nachtrunkbehauptung LG Oldenburg VRR 7/2022, 21 [Burhoff]). Fahrzeuge i.S.d. § 316 StGB sind Beförderungsmittel beliebiger Art zum Zweck der Fortbewegung im öffentlichen Verkehr, mithin auch E-Scooter (LG Wuppertal NZV 2022, 444 [Krenberger], zur aktuellen Rechtsprechung Kerkmann NZV 2022, 413).
2. Gefährlicher Eingriff in den Bahn- und Straßenverkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315, 315b, 315c StGB)
Ein vollendeter gefährlicher Eingriff (hier in den Bahnverkehr nach § 315 StGB) erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person so stark beeinträchtigt war, dass es i.S. eines „Beinahe-Unfalls” nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH NStZ 2022, 329). Ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b StGB wird zu einem Verbrechen, wenn er in der Absicht zur Herbeiführung eines Unglücksfalls erfolgt (§§ 315b Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB). Um den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr i.S.d. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB (Herbeiführen eines Unglücksfalls) zu qualifizieren, muss die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, dass sich gerade eine von ihm herbeigeführte verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. Selbst eine möglicherweise festzustellende Absicht des Angeklagten, durch den Abwurf der Steine (ausschließlich) Schäden am Dach des Fahrzeugs zu verursachen, ist nicht geeignet, die qualifizierende Voraussetzung des Handelns in der Absicht, einen Unglücksfall i.S.d. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB herbeizuführen, zu begründen (BGH NJW 2022, 409 m. Anm. Krumm = NStZ 2022, 298 m. Anm. Kudlich = zfs 2022, 170 = VRR 4/2022, 19 = StRR 6/2022, 26 [jew. Deutscher]). Nicht jegliche Ermüdung eines Kraftfahrers führt zur Bejahung der (vorsätzlichen) Begehung des § 315c Abs. 1 Nr. 1b StGB, sodass vielmehr ein Zustand zu verlangen ist, der für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafs mit sich bringt. Besondere Umstände, die es rechtfertigen, ausnahmsweise von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis abzusehen, liegen vor, wenn der Beschuldigte unwiderlegbar vorgebracht hat, infolge des ihm nach religiösen Vorschriften auferlegten Fastens während des Fastenmonats Ramadan habe zum Tatzeitpunkt eine Unterzuckerung vorgelegen (LG Kassel DAR 2022, 403).
3. Beteiligung an Autorennen (§ 315d StGB)
Auch im Berichtszeitraum lag ein Schwerpunkt strafgerichtlicher Entscheidungen auf Fragen rund um den Tatbestand des § 315d StGB. Auf Vorlage des AG Villingen-Schwenningen (DAR 2020, 218 = VRR 3/2020, 18 = StRR 3/2020, 32 [jew. Deutscher]) hat das BVerfG (NJW 2022, 184 = NZV 2022, 184 m. Anm. Obermann = DAR 2022, 255 m. Anm. Zopf = VRR 3/2022, 21 = StRR 4/2022, 35 [jew. Deutscher]) entschieden, dass der „Alleinraser”-Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hinreichend bestimmt und verfassungsgemäß ist. Eine unzulässige Verschleifung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale liege nicht vor (zum Begriff des Rennens Steinert SVR 2022, 201). Gleichwohl bleibt es für die Praxis im Einzelfall schwierig, bloß bußgeldrechtlich relevante hohe Geschwindigkeitsverstöße von strafbarem Verhalten abzugrenzen. Das objektive Erreichen der maximal möglichen Geschwindigkeit ist nicht ohne Weiteres gleichzusetzen mit dem zielgerichteten Willen des Täters, die gefahrene Geschwindigkeit nach seinen subjektiven Vorstellungen bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern, sondern besitzt nur einen gewissen Indizwert für die subjektive Tatseite. Die Annahme einer entsprechenden Absicht bedarf daher weiterer tatrichterlicher Ausführungen. Die diesbezüglichen Beweiserwägungen des Tatgerichts sind dann lückenhaft, wenn ihnen nicht zu entnehmen ist, dass das auf ein Ausleben aufgestauter Aggressionen ausgerichtete Handlungsziel des Angeklagten aus seiner Sicht i.S. eines notwendigen Zwischenziels gerade durch ein Fahren mit der nach seinen Vorstellungen situativ max. möglichen Geschwindigk...