1. Das bußgeldrechtliche Fahrverbot (§§ 25 StVG, 4 BKatV)
Hinweis:
Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf Deutscher, in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1509 ff., 1732 ff.
a) Der Tatbestand des Fahrverbots
Ein „Augenblicksversagen” kann nur in besonders gearteten Ausnahmefällen in Rechnung gestellt werden. Ohne solche Umstände müssen sich die Urteilsgründe nicht damit befassen. Es ist anzuzweifeln, dass sich ein Kraftfahrer im Hinblick auf ein angeblich übersehenes Zeichen 274 auf „Augenblicksversagen” berufen kann, wenn er sogar die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) überschreitet (KG zfs 2023, 315 = VRR 5/2023, 21 [Deutscher] = NZV 2023, 429 [Krumm]). Die „abstrakte Gefährlichkeit” ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des qualifizierten Rotlichtverstoßes (Nr. 132.3 BKat; Sandherr, NZV 2023, 241). Für die Verhängung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Verstoßes gegen die Pflichten eines Kfz-Führers gem. § 25 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StVG ist eine hinreichend aussagekräftige Darstellung der Vorahndungslage unerlässlich (BayObLG zfs 2023, 287 = NStZ-RR 2023, 88 m. Anm. Krenberger = NZV 2023, 282 [Will]).
b) Die Erforderlichkeit des Fahrverbots
Das Absehen von einem Fahrverbot nach § 25 StVG kommt in Betracht, wenn dessen Verhängung aufgrund Zeitablaufs nicht mehr geboten erscheint, weil dessen Erziehungsfunktion die warnende Wirkung des Fahrverbots nicht mehr erfordert. Dies setzt voraus, dass die zu ahndende Tat lange (i.d.R. mehr als zwei Jahre) zurückliegt, dass die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und dieser sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (OLG Karlsruhe zfs 2023, 229). Ein Fahrverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde stellen keine „Doppelbestrafung” dar. Die Verhängung eines Fahrverbots ist im Bußgeldverfahren auch dann veranlasst, wenn die Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen worden ist. Denn die Eintragung eines Fahrverbots im Fahreignungsregister wird im Wiederholungsfall bei künftigen Zumessungserwägungen oder auch für die Frage, ob dem Betroffenen eine viermonatige Schonfrist zu gewähren ist, regelmäßig von Bedeutung sein (OLG Düsseldorf zfs 2023, 169 = VRR 2/2023 [Deutscher] = NZV 2023, 283 [Sandherr]).
2. Geschwindigkeitsverstöße (§ 3 StVO)
a) Standardisiertes Messverfahren
Die langjährige Diskussion zu standardisierten Messverfahren und deren Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren ist deutlich ruhiger geworden. Dabei handelt es sich um ein durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321, 322). Insofern gilt ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht (Regelfall). Anderes gilt nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter, einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen. Abweichungen von Vorgaben der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers vermögen das Vorliegen eines sog. standardisierten Messverfahrens jedenfalls dann nicht in Frage zu stellen, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Messung ausgeschlossen ist (BayObLG NZV 2023, 271 m. Anm. Krenberger = DAR 2023, 223 = zfs 2023, 225). Entgegen der Ansicht der PTB ist für das Auswertepersonal einer Geschwindigkeitsmessung kein Schulungsnachweis erforderlich (AG Berlin-Tiergarten NZV 2023, 366 m. Anm. Krumm).
b) Auswirkung der Entscheidungen des BVerfG
Das BVerfG hat sich wiederholt zu Fragen des Rechts auf Einsicht in Messunterlagen beschäftigt und dabei das Recht auf ein faires Verfahren betont (NJW 2021, 455; NJW 2021, 2272 [Ls.]; DAR 2021, 385). Dem ist der VerfGH Baden-Württemberg gefolgt (NZV 2023, 214 m. Anm. Quarch = DAR 2023, 196 = VRR 4/2023, 24 [Niehaus]): Will der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf Informationszugang im Ordnungswidrigkeitenverfahren rügen, so ist zwar zur Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes i.d.R. erforderlich, dass der Betroffene seinen Anspruch bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde geltend macht und im Falle von dessen Ablehnung einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG stellt. Ein Antrag nach § 62 Abs. 1 S. 1 OWiG kann jedoch in Ausnahmefällen entbehrlich sein. Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt grds. ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtl...