1. „EU-Führerscheintourismus”
Hatte der Inhaber einer befristeten ausländischen Fahrerlaubnis im Zeitpunkt ihrer Verlängerung durch die ausländische Behörde seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, ist er nach § 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FeV nicht berechtigt, im Umfang seiner ausländischen Berechtigung im Inland Kfz zu führen. Auf der Grundlage einer solchen Fahrerlaubnis kann er auch nicht die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis unter den erleichterten Bedingungen des § 31 FeV verlangen (BVerwG NJW 2023, 1754 = DAR 2023, 230). Bei der Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis handelt es sich unter Berücksichtigung des Anerkennungsgrundsatzes um eine solche i.S.d. § 4 Abs. 3 S. 1 StVG, die die Löschung von Punkten nach § 4 Abs. 3 S. 2 StVG bewirkt (OVG NRW DAR 2023, 406 m. Anm. Greefe = NZV 2023, 382 [Ternig]).
Hinweis:
Das nationale Führerscheinstrafrecht im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 29.4.2021 (NJW 2021, 1805) beschreibt Meyer, NZV 2023, 159. Zum Vorschlag für eine 4. EU-Führerscheinrichtlinie Buchhardt/Ochel-Brinkschröder, DAR 2023, 377.
2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)
a) Alkohol
Auf § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV kann eine Begutachtungsaufforderung bei einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille dann gestützt werden, wenn zusätzlich weitere Tatsachen vorliegen, die die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs im fahrerlaubnisrechtlichen Sinn begründen. Solche Zusatztatsachen liegen vor, wenn der Betroffene bei einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Kfz zwar eine Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille aufwies, aber trotz einer BAK von 1,1 Promille oder mehr keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen festgestellt wurden (VG Bayreuth DAR 2023, 286).
b) Cannabis
Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kfz, wer bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis den Konsum und das Fahren nicht voneinander trennen kann. Bei gelegentlichem Cannabiskonsum stellt erst eine Verkehrsteilnahme mit einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml oder mehr eine Tatsache i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 3 FeV dar, die Bedenken gegen die Fahreignung begründet und zur Überprüfung der Fähigkeit und Bereitschaft, den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kfz zu trennen, mittels MPU berechtigt. Das Zurückbleiben der nachgewiesenen Konzentration hinter dem Grenzwert von 1,0 ng/ml kann nicht durch den Hinweis auf festgestellte Ausfallerscheinungen ausgeglichen werden, um gleichwohl vom Vorliegen einer Eignungsbedenken begründenden Tatsache auszugehen (OVG NRW NJW 2023, 935).
c) Sonstige Gründe für Eignungszweifel
Nach Nr. 6.3 der Anlage 4 zur FeV ist Eignung zum Führen von Kfz der Gruppe 1 nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und bei erfolgreicher Therapie gegeben. Ausgeprägte motorische Störungen sind grds. ein konkreter Hinweis darauf, dass möglicherweise schon ein fortgeschrittenes Stadium der Krankheit erreicht ist. Dies rechtfertigt die unmittelbare Anordnung eines Gutachtens. Die Eignung zum Führen von Kfz der Gruppe 2 ist grds. dauerhaft ausgeschlossen (BayVGH zfs 2023, 234; zu Schweigepflicht, Offenbarungsrecht oder Meldepflicht von Ärzten in diesem Zusammenhang Pießkalla, NZV 2023, 309). Ein Kraftfahrer ist jedenfalls dann zum Führen von Kfz ungeeignet, wenn er binnen eines Jahres mind. 174 Verkehrsordnungswidrigkeiten, davon mind. 159 Parkverstöße, begeht. Besonderes Gewicht gewinnen Parkverstöße, wenn sie vornehmlich im direkten Umfeld der Wohnung des Kraftfahrers stattgefunden haben (VG Berlin DAR 2023, 104 = zfs 2023, 56 = VRR 1/2023, 29 [Burhoff] = NZV 2023, 286 [Ternig] m. Bespr. Weber 402; Ternig, zfs 2023, 244).
d) Verfahrensfragen (insb. Gutachtenanordnung)
Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für eine fahreignungsrelevante psychische Erkrankung (hier: Depression) vor, kann die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen zur Abklärung der Eignungszweifel zur Vorlage eines ärztlichen Fachgutachtens auffordern. Wird das Gutachten trotz Hinweises auf § 11 Abs. 8 FeV nicht vorgelegt, kann die Fahrerlaubnis entzogen werden (BayVGH NZV 2023, 413 [Pießkalla]). Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Arzneimittelmissbrauchs nach Nr. 9.4 der Anlage 4 der FeV (hier: Medizinal-Cannabis) setzt voraus, dass die Fahrerlaubnisbehörde einen regelmäßig übermäßigen Gebrauch des psychoaktiv wirkenden Arzneimittels beweiskräftig belegen kann. Wird eine Fahrungeeignetheit festgestellt, so ist grds. von deren Fortbestand auszugehen, solange nicht vom Betroffenen der materielle Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung erbracht worden ist (VGH Baden-Württemberg NJW 2023, 465 = NZV 2023, 190 [Gail]). Wird die Beibringung einer MPU gegenüber einer Person angeordnet, die gelegentlich Cannabis konsumiert und gegen das Trennungsgebot verstoßen hat, ist es grds. nicht zu beanstanden, wenn die Begutachtungsstelle einen einzelnen Nachweis der Drogenfreiheit im Zeitpunkt der MPU fordert (VGH Baden-Württemberg zfs 2023, 534). Eine MPU kann nicht durch bloße Abstinenznachweise ersetzt werden, da eine Abstinenz nichts über deren Stabilität besagt (BayVGH DAR 2023, 523 m. Anm. Dronkovic).
Die Tatsache, dass ein Strafgericht anstelle einer in Betracht kommenden Entziehung d...