I. Vorbemerkung
Die Entwicklungen im Franchise-Recht waren zuletzt Gegenstand von Beiträgen im Jahr 2022 (vgl. Flohr, ZAP 2022, 127, ders., ZAP 2022, 401 sowie ders., ZAP 2022, 1163). Dabei standen aber die durch die Corona-Pandemie bedingten Rechtsfragen und das seit dem 1.6.2022 geltende neue EU-Vertriebskartellrecht im Vordergrund.
Allerdings sind nicht nur in den letzten Jahren, sondern auch unlängst Entscheidungen zum Franchise-Recht von grundsätzlicher Bedeutung – auch von Instanzgerichten – ergangen; Entscheidungen, die das Franchise-Recht und damit auch die Vertragspraxis prägen. Damit zeigt sich einmal mehr, dass das Franchise-Recht ein Konglomerat-Rechtsgebiet ist (dazu grds. Flohr, ZVertriebsR 2022, 5, 71).
II. Franchiserechtliche Entscheidungen
1. OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 1.12.2021 – 12 U 7/21
Dieses Urt. ist zwar schon Ende 2021 ergangen, wurde aber so gut wie gar nicht bemerkt, obwohl sich die Entscheidung umfassend mit Fragen der vorvertraglichen Aufklärung beim Abschluss eines Franchise-Vertrags, der Schadensersatzansprüche des Franchise-Gebers bei einer unberechtigten fristlosen Kündigung des Franchise-Nehmers, mit Vertragsstrafenregelungen in einem Franchise-Vertrag und einer etwaigen Haftung des Franchise-Gebers für Handlungen Dritter im Rahmen der Verhandlung um den Abschluss eines Franchise-Vertrages befasst, also Fragen, die sich im Franchise-Recht ständig stellen.
a) Vorvertragliche Aufklärung
Wurde aufgrund der Entscheidungen des OLG Schleswig (Beschl. v. 22.1.2008 – 1 W 27/07, NJW-RR 2009, 65), der des OLG Brandenburg (Urt. v. 28.9.2005 – 4 U 37/05, NJW-RR 2006, 51), der des OLG Düsseldorf (Urt. v. 30.6.2004 – VI-U (Kart) 40/02, BeckRS 2004, 12148) und des OLG Lüneburg (Urt. v. 28.1.2006 – 4 U 193/06) noch davon ausgegangen, dass die unternehmerische Selbstständigkeit des Franchise-Nehmers bei der vorvertraglichen Aufklärung betont wird, so „läutete” das Urt. des OLG Hamm v. 22.12.2011 (I-19 U 35/10, ZVertriebsR 2012, 177) eine Tendenzwende ein, die auch die nachfolgenden Entscheidungen des OLG Düsseldorf (Urt. v. 25.10.2013 – I-22 U 62/13, ZVertriebsR 2014, 46), des OLG Hamburg (Urt. v. 28.7.2014 – 4 U 10/14, ZVertriebsR 2015, 107) und zuletzt des OLG Dresden ( Urt. v. 18.8.2016 – 10 U 1137/15, ZVertriebsR 2016, 320) zeigen.
Seitdem wird allgemein davon ausgegangen, dass die Interessen des Franchise-Nehmer-Interessenten im Vordergrund stehen; dieser also im besonderen Maße schutzbedürftig ist (s. die umfassenden Lit.- und Rspr.-Nachweise zur vorvertraglichen Aufklärung Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht, 3. Aufl. 2023, vor §§ 241, 311 BGB; Martinek/Semler/Flohr, Handbuch Vertriebsrecht, 5. Aufl. 2024, § 28 Rn 1–127 mit umfassenden Nachweisen und ergänzend Flohr, in: FS für Gramlich, München 2021, S. 113 ff.; Hahn, Umfang und Inhalt der vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Franchisegebers, 2019; sowie allgemein Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997; Pohlmann, Die Haftung wegen Verletzung von Aufklärungspflichten, 2022; Rehm, Aufklärungspflichten im Vertragsrecht, 2003).
Das OLG Frankfurt a.M. stellt erfreulicherweise klar, dass bei der vorvertraglichen Aufklärung die unternehmerische Selbstständigkeit des Franchise-Nehmers genauso zu berücksichtigen ist wie dessen unternehmerisches Risiko, das mit jeder selbstständigen Tätigkeit verbunden ist. Das OLG Frankfurt a.M. erläutert zwar, dass
- es zum einen verboten ist, den potenziellen Franchise-Nehmer über vertragswesentliche Umstände zu täuschen oder in die Irre zu führen und
- zum anderen der Franchise-Geber verpflichtet ist, den potenziellen Franchise-Nehmer über solche Umstände aufzuklären, die allein ihm bekannt sind und von denen er weiß oder wissen muss, dass diese die Entscheidung des potenziellen Franchise-Nehmers, den Franchise-Vertrag abzuschließen, beeinflussen.
Insofern wurde und wird immer davon gesprochen, dass durch die Vertragsverhandlungen und die gebotene Aufklärung über das Franchise-System einerseits und den Franchise-Vertrag andererseits die zu Lasten des Franchise-Nehmer-Interessenten bestehende „Informationsasymmetrie” oder das bestehende „Informationsgefälle” beseitigt werden muss (s. zu dieser Informationsasymmetrie ausführlich: Kunkel, Franchising und asymmetrische Informationen, 1994; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001).
Unter Anknüpfung an eine ältere Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 3.6.2016 – 13 U 107/14) hält das OLG Frankfurt a.M. im Urt. v. 1.12.2021 (12 U 7/21) aber auch fest, dass bei Franchise-Verträgen, wie bei jedem anderen Vertrag, jede Partei ihr Vertragsrisiko selbst zu tragen habe. Insofern obliege es einem Franchise-Nehmer, sich über die Risiken und Chancen einer geschäftlichen Verbindung zum Franchise-Geber und zu seiner Eingliederung in das Franchise-System durch den Abschluss des Franchise-Vertrags zu informieren und sich ein eigenes Bild von den Marktchancen zu verschaffen. Hierbei handelt es sich um eine Obliegenheit des Franchise-Nehmers.
Das OLG Frankfurt a.M. kommt dabei auch auf eine nach wie vor aktuelle Entscheidung des OLG Schleswig (Beschl. v. 22.1.2008 – 1 W 27/07, NJW-RR 20...