Voraussetzung für die Beschränkung der Verwerfungskompetenz des Berufungsgerichts ist, dass der Angeklagte zu Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins von einem mit schriftlicher/nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten wird. Der bevollmächtigte Verteidiger muss zu Beginn des Hauptverhandlungstermins erscheinen, wobei es sich anders als früher nicht um die erste Berufungsverhandlung in der anhängigen Sache handeln muss und ggf. auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin erfasst wird (BT-Drucks 18/3562, S. 68).
a) Erscheinen des Verteidigers
Für die Vertretung des Angeklagten in einem (Berufungs-)Hauptverhandlungstermin reicht es grds. aus, dass der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten erscheint, er also körperlich im Sitzungssaal anwesend ist. Eine ausdrückliche Erklärung des mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht erschienenen Verteidigers, dass er für den Angeklagten in dessen Abwesenheit verhandeln wolle, setzt § 329 Abs. 1 StPO nicht voraus, es ist lediglich die Bereitschaft des Verteidigers hierzu erforderlich (OLG Hamm, Beschl. v. 6.9.2016 – 4 RVs 96/16, StV 2018, 150 m. Hinw. auf BT-Drucks 18/3562, S. 69; OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16, StV 2018, 148 m. Anm. Burhoff, StRR 9/2017, 14; Spitzer, StV 20116, 48, 50; unzutreffend a.A. OLG Jena, Beschl. v. 28.7.2016 – 1 Ss 42/16, StraFo 2016, 417). Der Verteidiger muss also weder an der Verhandlung mitwirken noch Erklärungen zur Sache abgeben; vielmehr kann er sich darauf beschränken, anwesend zu sein und damit zu erkennen geben, dass er bereit ist, von den Rechten des Angeklagten in der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen. Aus dem bloßen Schweigen des Verteidigers und dem Absehen von einer Antragstellung lässt sich nicht schließen, dass er nicht vertretungswillig ist; hierfür bedarf es vielmehr weiterer eindeutiger Indizien (KG, Beschl. v. 7.7.2010 – (1) 1 Ss 233/10 (17/10), StraFo 2010, 427; OLG Bremen, Beschl. v. 18.12.2007 – Ss 42/07, StRR 2008, 148; OLG Oldenburg, a.a.O.; Deutscher, StRR 2015, 284) bzw. es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Verteidiger es gar nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Oldenburg, a.a.O.).
b) Vertretungsvollmacht
Vertreten werden muss der Angeklagte durch einen „Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht”.
Hinweis:
Aus der Formulierung „Verteidiger” folgt, dass Vertreter des ausgebliebenen Angeklagten also nicht jeder Dritte sein kann und auch nicht ein als Beistand in der Berufungshauptverhandlung nach § 149 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO zugelassener Ehegatte, Lebenspartner oder gesetzlicher Vertreter eines Angeklagten oder ein nach § 69 Abs. 1 JGG durch das Gericht bestellter Beistand für einen jugendlichen Angeklagten (BT-Drucks 18/3562, S. 6).
Vertreter kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur derjenige sein, den der Angeklagte nach § 138 Abs. 1, 2 StPO auch als Verteidiger wählen kann (dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, Rn 5111 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]). Dieser muss mit einer sog. Vertretungsvollmacht ausgestattet sein (wegen der Einzelheiten zur Vertretungsvollmacht Burhoff, HV, Rn 3908 ff., 3923 ff.; u.a. KG, Beschl. v. 12.6.2013 – 3 Ws (B) 202/13, StRR 2014, 38; OLG Bamberg, Beschl. v. 29.5.2006 – 3 Ss OWi 430/06, NJW 2007, 1477 [Ls.]; Beschl. v. 13.9.2011 – 2 Ss OWi 543/11, VRR 2011, 472; OLG Celle, Beschl. v. 6.10.2010 – 311 SsRs 113/10, DAR 2010, 708; Beschl. v. 18.1.2021 – 2 Ss 119/20, NStZ 2021, 764; OLG Hamm, Beschl. v. 16.8.2006 – 2 Ss OWi 348/06, StraFo 2006, 425; OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.12.2020 – 2 Ss-OWi 1347/20, NStZ-RR 2021, 83; Meyer-Lohkamp/Venn, StraFo 2009, 265, 268; Dierbach, StraFo 2019, 50), die dem Gericht bei Beginn der Hauptverhandlung vorliegen muss (OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.8.2011 – 1 Ws 133/11, wistra 2012, 43; OLG Koblenz, Urt. v. 18.5.1972 – 1 Ss 89/72, MDR 1972, 801; OLG Köln, MDR 1964, 435). Die gewöhnliche Verteidigervollmacht ist nicht ausreichend (u.a. OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Celle, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.), die Vertretungsvollmacht kann aber zusammen mit der Verteidigervollmacht erteilt werden (BGH, Beschl. v. 20.9.1956 – 4 StR 287/56, BGHSt 9, 356). Aus dieser Vollmacht muss klar hervorgehen, dass der Verteidiger zur Vertretung des Angeklagten befugt ist. Nicht erforderlich ist eine Vollmacht „zur Vertretung des Angeklagten” in dessen Abwesenheit (BGH, a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 234 Rn 5 m.w.N.; wegen der Einzelheiten zum Verteidiger und zur Vollmacht des Verteidigers Burhoff, HV, Rn 3923 ff.).
Das gilt auch für den erschienenen Pflichtverteidiger. Die diesem ggf. zuvor als Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht ist mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger erloschen (BGH, Beschl. v. 8.11.1990 – 4 StR 457/90, NStZ 1991, 94; u.a. BayObLG, Beschl. v. 9.10.2020 – 202 StRR 94/20; OLG Celle, Beschl. v. 20.2.2020 – 2 Ws 35/20, RVGreport 2020, 194; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.2.2012 – III-2 RVs 11/12, StV 2013, 299; OLG Hamburg, Beschl...