1. Verhandlung ohne den Angeklagten
Handelt es sich um eine Berufung der Staatsanwaltschaft, kann nach § 329 Abs. 2 StPO ohne den Angeklagten verhandelt werden, wenn er „nicht genügend entschuldigt” nicht erscheint (zum Haftbefehl BVerfG, Beschl. v. 18.12.2000 – 2 BvR 1706/00, NJW 2001, 1341). Daran hat sich durch die Neuregelung des § 329 StPO nichts geändert. Allerdings sollen durch die Neufassung des § 329 Abs. 2 Alt. 2 StPO – „Abwesenheit nicht genügend entschuldigt” – nun auch die Fälle des nachträglichen Sich-Entfernens und des Sich-Versetzens in einen verhandlungsunfähigen Zustand (§ 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 3 StPO; s. IV. 2.) erfasst werden (so BT-Drucks 18/3562, S. 72; Spitzer, StV 2016, 48, 53; krit. Deutscher, StRR 2015, 284).
Hinweis:
Tritt für den Angeklagten ein vertretungsberechtigter Verteidiger auf, so gelten auch hier die für die Verwerfung des Angeklagten bei potenzieller Vertretung aufgestellten Grundsätze der Erforderlichkeitsprüfung (BT-Drucks 18/3562, S. 74; dazu V. 5.). Gerade in diesen Fällen muss der Verteidiger darauf achten, ob nicht ggf. die sich aus § 244 Abs. 2 StPO ergebende Aufklärungspflicht des Gerichts eine Verhandlung in Anwesenheit des Angeklagten erforderlich macht. Das wird insb. dann der Fall sein, wenn sich das Gericht einen persönlichen Eindruck vom Angeklagten verschaffen muss, so z.B. bei einer Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft (OLG Hamm, Beschl. v. 22.1.1997 – 2 Ws 9/97, StV 1997, 346; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.11.2002 – 2 Ss 64/02, NStZ-RR 2004, 21; OLG Köln, Beschl. v. 17.6.2011 – III-1 RVs 140/11, StraFo 2011, 360).
2. Vorführung/Verhaftung
Nach § 329 Abs. 3 Alt. 1 StPO ist gegen den ausgebliebenen Angeklagten die Vorführung oder Verhaftung anzuordnen, wenn bei einer Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ohne ihn verhandelt werden kann. Die Vorführung des Angeklagten dürfte im Übrigen auch dann grds. zulässig sein, wenn allein der Nebenkläger Berufung eingelegt hat (OLG Köln, Beschl. v. 19.11.2012 – 2 Ws 806/12, NStZ 2014, 296). Die Zwangsmaßnahmen stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten sind. Bei der Entscheidung der Frage, ob die Anwesenheit des Angeklagten in der Verhandlung über eine Berufung der Staatsanwaltschaft erforderlich ist, steht dem Berufungsgericht ein Beurteilungsspielraum zu, dessen Ausfüllung (im Beschwerdeverfahren) nur eingeschränkt zu überprüfen ist (KG, Beschl. v. 12.7.2017 – 4 Ws 115/17). Der Erlass eines Haftbefehls nach § 329 Abs. 3 StPO setzt nicht voraus, dass der Angeklagte zunächst unter Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu einem Fortsetzungstermin geladen wurde (KG, a.a.O.).
3. Informationspflicht
In § 329 Abs. 5 S. 1 StPO ist eine Informationspflicht des Gerichts vorgesehen, falls nach § 329 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 StPO über eine Berufung der Staatsanwaltschaft ohne Angeklagten und vertretungsbefugten Verteidiger verhandelt worden ist. Hiernach hat der Vorsitzende, solange mit der Verkündung des Urteils noch nicht begonnen worden ist, einen erscheinenden Angeklagten oder vertretungsberechtigten Verteidiger von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist. Die Regeln zu § 247a StPO dürften entsprechend gelten (vgl. dazu Burhoff, HV, Rn 1796 ff.).
4. Rücknahme der Berufung
Nach § 329 Abs. 5 S. 2 StPO ist die Rücknahme der Berufung der Staatsanwaltschaft abweichend von § 303 StPO auch ohne Zustimmung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten zulässig. Eine Ausnahme gilt, wenn nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht verhandelt wird (§ 329 Abs. 5 S. 2 Hs. 2 StPO). Wegen der Bezugnahme auf § 329 Abs. 1 StPO gilt das aber nur, wenn auch kein vertretungsbefugter Verteidiger anwesend ist. Erweitert wird diese Möglichkeit auf das nachträgliche Sich-Entfernen von dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger oder falls der Verteidiger den Angeklagten nicht weiter vertritt (Spitzer, StV 2016, 48, 55).
ZAP F., S. 1027–1038
Von Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg