Auch im Verwaltungs- und Gerichtsverfahrensrecht hat das BSG einige Entscheidungen getroffen. Trotz mancher Ausnahmen ist als Grundtendenz eine gewisse Stärkung der behördlichen Instrumente gegenüber den Leistungsberechtigten festzustellen.
1. Keine Überprüfungspflicht nach § 44 SGB X bei pauschalem Antrag
Mit zwei Entscheidungen (BSG, Urt. v. 13.2.2014 – B 4 AS 22/13 R und BSG, Beschl. v. 4.6.2014 – B 14 AS 335/13 B) hat das BSG die Anforderungen an die Anwendung von § 44 SGB X angehoben. In beiden Entscheidungen hält es eine Behörde nicht für verpflichtet, auf einen allgemein gehaltenen Antrag hin "sämtliche bestandkräftige[n] Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen. In diesem Fall sei der Behörde die Ermittlung des "Einzelfalls" nicht möglich. Auch sei eine nachträgliche Konkretisierung im Klageverfahren nicht möglich: Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt sei hier die Widerspruchsentscheidung.
Hinweis:
Zur rechtssicheren Auslösung der Überprüfungspflicht sollte mindestens der zu überprüfende Bescheid mit Datum genannt werden. Allerdings dürfte der Leistungsträger bei pauschalen Anträgen gehalten sein, durch Nachfrage eine nähere Klärung zu erreichen, § 21 Abs. 2 S. 1 SGB X.
2. Keine Aufhebung belastender Verwaltungsakte gegen die materielle Rechtslage – § 44 SGB X
Eine weitere Einschränkung von § 44 SGB X hat das BSG in seinem Urteil vom 24.4.2014 (B 13 R 3/13 R) vorgenommen. Darin hat das BSG einen Anspruch von Rentnerinnen und Rentnern aus § 44 SGB X abgelehnt, eine dem materiellen Rentenrecht entsprechende, aber einem früheren Vormerkungsbescheid widersprechende Rentenbewilligung aufzuheben. Im entschiedenen Fall hatte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) beim Kläger 1989 Zeiten der Schulausbildung nach § 1325 Abs. 3 RVO verbindlich festgestellt, die über das heute in § 58 SGB VI vorgesehene Maß hinausgehen. Diesen Bescheid hob die DRV nie auf. Bei der bindenden Erstbewilligung der Rente im Jahre 2001 legte die DRV materiell rechtmäßig nur die in § 58 SGB VI vorgesehenen Ausbildungszeiten als Anrechnungszeiten zugrunde. 2005 beantragte der Kläger die Aufhebung der Rentenbewilligung gem. § 44 SGB X und Berücksichtigung der bindend anerkannten Anrechnungszeiten, was die DRV ablehnte – nach Auffassung des BSG zu Recht. Zwar habe die DRV das Recht unrichtig angewandt (Rn. 16), sie habe aber mangels Verstoßes gegen das materielle Recht keine Rentenleistungen zu Unrecht nicht erbracht (Rn. 25). Sinn und Zweck des § 44 SGB X würden es nicht erlauben, nach § 44 SGB X mehr Leistungen zuzuerkennen als materiell-rechtlich geboten (Rn. 22). Auch schutzwürdiges Vertrauen des Klägers stehe dem – schon wegen der Sondervorschrift des § 149 Abs. 5 SGB VI – nicht entgegen (Rn. 27–29). Hiermit fällt der 13. Senat hinter die Rechtsprechung anderer Senate zurück, die als "zu Unrecht nicht gewährt" auch solche Sozialleistungen versteht, die unter Verstoß gegen die durch bindende rechtswidrige Verwaltungsakte gestaltete Rechtsordnung verweigert werden (BSG, Urt. v. 28.5.1997 – 14/10 RKg 25/95; BSG, Urt. v. 4.2.1998 – B 9 V 16/96 R; ebenso Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, § 44 Rn. 7; Merten in Hauck/Noftz-SGB X, K § 44 Rn. 50; Rüfner in Wannagat, SGB X, § 44 Rn. 26 f. und Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 Rn. 73).
3. Keine Geltung von § 44 Abs. 4 SGB X für die Aufhebung einer Erstattung
In gewissem Gegensatz dazu steht die Entscheidung des 4. Senats vom 13.2.2014 (B 4 AS 19/13 R). Im entschiedenen Fall hatte der Sozialleistungsträger Leistungen zu Unrecht zurückgefordert; die Leistungsberechtigten hatten die Erstattungsforderung bereits beglichen. Im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X hob der Sozialleistungsträger die rechtswidrige Aufhebung der Bewilligung auf, traf aber keine Entscheidung über die Rückerstattung des rechtswidrig erstatteten Betrags. Auf die Leistungsklage hin berief er sich auf die (in concreto durch § 40 Abs. 1 SGB II modifizierte) Frist des § 44 Abs. 4 SGB X. Das BSG trat dem mit dem Argument entgegen, dass die Rückerstattung der Erstattung keine Sozialleistung (mehr) sei (so bereits BSG, Urt. v. 12.12.1996 – 11 RAr 31/96).
In nicht tragenden Erwägungen deutet der 4. Senat darüber hinaus an, dass es – ähnlich wie beim Verhältnis von §§ 45, 48 SGB X einerseits, § 50 SGB X andererseits – eine Automatik geben könnte, wonach eine Aufhebung gem. § 44 Abs. 1 SGB X stets auch ohne weitere Prüfung eine Nachzahlungspflicht zur Folge haben würde (BSG, Urt. v. 13.2.2014 – B 4 AS 19/13 R, Rn. 17 f.).
Hinweis:
Hat die Behörde den rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt aufgehoben, ist nach dem BSG (Urt. v. 13.2.2014 – B 4 AS 19/13 R) eine echte Leistungsklage die richtige Klageart. Das gilt (wohl) auch, wenn eigentlich die Frist des § 44 Abs. 4 SGB X (ggf. i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II, § 116a SGB XII) bereits abgelaufen ist; insoweit sieht das BSG das Jobcenter in SGB-II-Angelegenheiten (wohl) als durch seine eigene Entscheidung gebunden an.
4. Begrenzung der rückwirkenden Gewährung von Leistungen bei sozialrechtlichem Herstellungsanspruch
Werden Sozialleistungen nach einem Zugunstenverfahren i.S.v. §§ 44 oder 48 SGB X rückwirkend erbracht, beschränkt § 44 Abs. 4 SGB X (ggf. i.V.m. § 48 Abs. 4 SGB X) die rückwirkende Leistungserbringung auf einen Zeitraum von vier Jahren. Selbst wenn materiell-rechtlich für frühere Zeiträume Leistungen zu...