1. § 906 Abs. 1 S. 1 BGB
§ 906 BGB gilt als die Generalnorm des zivilrechtlichen Nachbarschutzes (BT-Drucks. 12/7425, S. 87). Die negativen Eigentümerbefugnisse aus § 903 BGB werden beschränkt, indem die dem Grundstückseigentümer zustehenden Abwehransprüche eingeschränkt werden. Dadurch wird ein Ausgleich zwischen den gleichrangigen Interessen benachbarter Eigentümer an der ungestörten Nutzung ihrer Grundstücke geschaffen. Ziel ist es, im Interesse eines gedeihlichen nachbarlichen Zusammenlebens eine möglichst sinnvolle Grundstücksnutzung zu ermöglichen (BGHZ 88, 344, 346). Zu diesem Zweck legt § 906 Abs. 1 S. 1 BGB dem Grundstückseigentümer die entschädigungslose Verpflichtung auf, bestimmte von einem benachbarten Grundstück ausgehende Einwirkungen zu dulden, wenn dadurch die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird.
Im Gesetz werden einige Einwirkungen beispielhaft aufgezählt. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind, in ihrer Intensität schwanken und damit andere Grundstücke überhaupt nicht, nur unwesentlich oder auch wesentlich beeinträchtigen (BGHZ 117, 110, 112).
Beispiele:
- Gase und Dämpfe (Schwefeldioxyd, BGHZ 30, 273; Fluor, BGHZ 70, 102);
- Gerüche (Schweinemastbetrieb, BGHZ 140, 1);
- Geräusche (Fahrzeuge, BGH NJW 1984, 124; Volksfest, BGHZ 111, 63; Frösche, BGHZ 120, 239; Flugplatz, BGHZ 129, 24);
- Erschütterungen (Bauarbeiten, BGHZ 85, 375; Sprengungen, BGH NJW 1999, 1029; untertägiger Bergbau (BGHZ 178, 90).
Die Aufzählung ist nicht erschöpfend (BGHZ 90, 255, 259). Das Gesetz spricht ganz allgemein von "ähnlichen Einwirkungen". Darunter sind solche Einwirkungen zu verstehen, die auf der Zuführung unkörperlicher oder leichter körperlicher Stoffe beruhen.
Beispiele:
- Staubeinwirkung (BGHZ 62, 186, 190 ff.);
- Anflug von Bienen und die dadurch bewirkte Blütenbestäubung (BGHZ 117, 110);
- Herabfallen von Laub, Nadeln, Blüten und Zapfen von Bäumen (BGHZ 157, 33);
- Strahlung durch elektromagnetische Felder (BGH NJW 2004, 1317).
Nicht zu den "ähnlichen Einwirkungen" gehören Grobimmissionen. Das sind Einwirkungen, die von größeren körperlichen Gegenständen ausgehen. Beispiele: Geröll (BGHZ 58, 149, 159); Wasser (BGHZ 90, 255, 258); Schrotblei (BGHZ 111, 158, 162).
Nach h.M. fallen negative Einwirkungen nicht unter die Regelung in § 906 Abs. 1 S. 1 BGB. Darunter versteht man das Abhalten natürlicher Zuführungen und Vorteile auf ein Grundstück sowie das Verhindern von natürlichen Ableitungen von einem Grundstück infolge der – nicht grenzüberschreitenden – Benutzung eines benachbarten Grundstücks (PWW/Lemke, a.a.O., § 903 Rn 4).
Schließlich gehören auch ideelle Einwirkungen nicht zu den Einwirkungen im Sinne dieser Vorschrift. Das sind solche Einwirkungen, die das ästhetische oder sittliche Empfinden eines Grundstückseigentümers stören oder die zu einer Minderung des Verkehrswerts eines Grundstücks führen. Diese Einwirkungen haben ihre Herkunft – ebenso wie die negativen Einwirkungen – in nicht grenzüberschreitenden Handlungen auf dem Nachbargrundstück. Sie können von dem gestörten Eigentümer nicht abgewehrt werden (BGH NJW 2003, 1313, 1314).
Beispiele:
- Nacktbaden (RGZ 76, 130);
- Lager für Baumaterialien in einer Wohngegend (BGHZ 51, 396);
- Abstellplatz für Schrottfahrzeuge neben einem Hotel (BGHZ 54, 56);
- unansehnliche Stützmauer an der Grundstücksgrenze (BGH NJW 1975, 170);
- Betrieb eines Bordells auf dem Nachbargrundstück (BGHZ 95, 307).
2. § 906 Abs. 2 S. 1 BGB
Nach dieser Vorschrift muss der Eigentümer auch solche Einwirkungen von einem Nachbargrundstück dulden, welche die Benutzung seines eigenen Grundstücks zwar wesentlich beeinträchtigen, die aber durch die ortsübliche Benutzung des benachbarten Grundstücks herbeigeführt werden und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können. Von Ortsüblichkeit spricht man dann, wenn eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung mit einer nach Art und Ausmaß einigermaßen gleichen Einwirkung auf die Nachbarschaft benutzt wird (BGHZ 120, 239, 260). Vergleichsgebiet ist grundsätzlich das gesamte Gemeindegebiet, in dem sich das emittierende Grundstück befindet. Allerdings kann das Vergleichsgebiet über die Gemeindegrenzen hinaus ausgeweitet werden, wenn eine bestimmte Grundstücksnutzung ein räumlich großes Gebiet prägt (BGHZ 30, 273, 277). Es kann aber auch auf einzelne Teile des Gemeindegebiets beschränkt werden, wenn dort wegen einer typischen Grundstücksnutzung ein erkennbar eigentümliches, von anderen Ortsteilen verschiedenes Gepräge vorherrscht (BGH NJW 1959, 1632, 1633).
3. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB
Muss der Eigentümer aufgrund § 906 Abs. 2 S. 1 BGB Einwirkungen dulden, welche die Nutzung seines Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, kann er von dem Nachbarn eine angemessene Geldentschädigung verlangen, wenn die Einwirkung die ortsübliche...