I. Vorbemerkung
Der Bundestag hat am 3.12.2015 u.a. das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (sog. 3. Opferrechtsreformgesetz [OpferRRG]) verabschiedet, welches teilweise bereits am 31.12.2015 in Kraft getreten ist, teilweise aber erst am 1.1.2017 in Kraft treten wird (BGBl I, S. 2525; s.u. VI.). Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die dadurch am 31.12.2015 in der StPO eingetretenen Änderungen und ihre praktischen Auswirkungen.
Die Neuregelungen haben – entsprechend der erkennbaren Tendenz des Gesetzgebers aus den letzten Jahren (vgl. z.B. das 2. OpferRRG vom 29.7.2009, BGBl I, S. 2280; Burhoff ZAP F. 22, S. 483 ff.) – die Rechte des Verletzten weiter ausgebaut und zu seinem weiteren Schutze sowie zum Schutz von Zeugen geführt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (vgl. BT-Drucks 18/4621) diente dazu, die europarechtlichen Mindestvorgaben hinsichtlich der Verfahrensrechte von Verletzten im Strafverfahren in nationales Recht umzusetzen, wie sie sich aus der Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl L 315 vom 14.11.2012, S. 57; sog. Opferschutzrichtlinie) ergeben. Diese hätten an sich, soweit die Vorgaben dieser Opferschutzrichtlinie nicht bereits in der Vergangenheit durch innerstaatliche Rechtsänderungen erfüllt waren (vgl. dazu z.B. das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs [StORMG] vom 26.6.2013; dazu Deutscher StRR 2013, 224 und zum Änderungsbedarf BT-Drucks 18/4621, S. 13 ff.) bis zum 16.11.2015 umgesetzt sein müssen.
II. Recht des Zeugen (§ 48 StPO)
Erneut geändert worden ist der bereits durch das 2. OpferRRG modifizierte § 48 StPO (vgl. dazu Burhoff ZAP F. 22, S. 483 f.). Angefügt ist ein Absatz 3, nach dessen Satz 1 dann jetzt die einen Opferzeugen betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen verbindlich unter Berücksichtigung seiner besonderen Schutzbedürftigkeit durchzuführen sind.
Zu prüfen ist dabei nach § 48 Abs. 3 S. 2 StPO insbesondere, ob eine Vernehmung des Zeugen in Abwesenheit etwa des Angeklagten, § 168e StPO, bzw. eine audiovisuelle Vernehmung, § 247a StPO, oder ein Ausschluss der Öffentlichkeit von der Teilnahme an der Hauptverhandlung, § 171b Abs. 1 GVG, geboten sind und inwieweit auf Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen verzichtet werden kann (vgl. zu den besonderen Vernehmungsmethoden im Ermittlungsverfahren Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 7. Aufl. 2015, Rn 4178 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, EV]; in der Hauptverhandlung Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2016, Rn 419 ff., 1408 ff., 3307 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff, HV]).
Um eine möglichst frühzeitige Beurteilung der Schutzbedürftigkeit des Zeugen sicherzustellen, soll die Prüfung beim ersten hoheitlichen Auftreten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Verletzten erfolgen. Für den Bereich der staatsanwaltlichen und polizeilichen Ermittlungsarbeit ist dies regelmäßig die Vernehmung des Verletzten als Zeuge. Liegt bereits eine Einschätzung der besonderen Schutzbedürftigkeit durch eine Opferhilfeeinrichtung vor, so ist diese gem. § 48 Abs. 3 S. 4 StPO bei der Prüfung der staatlichen Behörden zu berücksichtigen.
Hinweis:
Da entsprechende Schutzmaßnahmen bereits ausreichend im deutschen Recht verankert waren, hat diese Neuregelung vor allem eine Klarstellungsfunktion: Die aufgeführten Mittel sollen in Verfahren mit vulnerablen Opfern die Regel und nicht die Ausnahme darstellen. Diesem Grundsatz sollen alle mit dem Verletzten hoheitlich in Kontakt tretenden Ermittlungsbehörden verpflichtet werden (vgl. BT-Drucks 18/4621, S. 23 f.).
III. Benachrichtigung über Strafanzeige (§ 158 StPO)
Der Anzeigeerstatter wurde in der Praxis bereits in der Vergangenheit schriftlich in Form einer Eingangsbestätigung über Aktenzeichen und ermittelnde Behörde betreffend eine Strafanzeige informiert. Hierzu regelt Nr. 9 RiStBV, dass der Eingang der Anzeige grundsätzlich zu bestätigen ist, sofern dies nicht nach den Umständen entbehrlich ist. Den Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 der Opferschutzrichtlinie entsprechend, schreibt § 158 Abs. 1 S. 3 StPO nunmehr ausdrücklich die schriftliche Anzeigebestätigung auf Antrag des Verletzten vor. Hinsichtlich des Umfangs der Bestätigung sieht der nachfolgende Satz 4 vor, dass die vom Verletzten gemachten Angaben zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat aufgenommen werden sollen. Eine detaillierte rechtliche Bewertung des geschilderten Sachverhalts kann und soll die aufnehmende Behörde zu diesem frühen Verfahrensstadium nicht vornehmen. Es genügt die in der Praxis gebräuchliche ungefähre Deliktsbezeichnung, also z.B. "Diebstahl", "Beleidigung" oder "Körperverletzung".
Hinweis:
Bei offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Anzeigen oder wenn sonst der Schutzbereich der Opferschutzrichtlinie verlassen wird, kann allerdings von einer Anzeigebestätigung abgesehen werden...