1. Tatsächlicher und ernsthafter Wille des Kindes
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass das Kind sich weigert oder jedenfalls eine solche Weigerung vom betreuenden Elternteil behauptet wird. Hier muss das Gericht im Rahmen der persönlichen Anhörung des Kindes genaue Feststellungen treffen.
Äußern Kinder, dass sie keinen Kontakt zu einem Elternteil haben wollen, so ist jedoch sorgfältig zu prüfen, ob dieser Wille auf einer autonomen Entscheidung des Kindes beruht oder ob der geäußerte Kindeswille seine Grundlage in einer Suggestion des betreuenden Elternteils hat (BVerfG FamRZ 2007, 531; 2001, 1057; KG ZKJ 2015, 235; OLG Brandenburg FamRZ 2000, 1106). Allerdings kann auch ein fremd beeinflusster Wille schützenswert sein, wenn darin echte Bindungen zum Ausdruck kommen und sich der Wille derart in dem Kind verfestigt hat, dass er als eigener Wille anzusehen ist. Denn auch ein solcher Wille stellt ein inneres Faktum dar, das im Interesse des Kindes nicht ignoriert werden darf (BGH NJW 1985, 1702, 1703; BVerfG FamRZ 2001, 1057; OLG Koblenz FamRZ 2014, 2010; OLG Naumburg FuR 2015, 358, 359; OLG Frankfurt FamRZ 2002, 187). Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört auch, dass der wachsenden Fähigkeit eines Kindes zu eigener Willensbildung und selbstständigem Handeln Rechnung getragen wird, das Kind dies erfährt und sich so zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit entwickeln kann (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 1737). Dies gilt umso stärker, je älter und damit reifer das Kind ist (OLG Koblenz FamRZ 2014, 2010).
Es ist zu ermitteln, ob die Herausbildung der Persönlichkeit des Kindes bereits so fortgeschritten ist, dass eine dem Willen des Kindes zuwiderlaufende Ausübung des Umgangs eine Gefährdung seiner Entwicklung bedeuten würde (BGH FamRZ 1980, 131; OLG Brandenburg, Beschl. v. 6.10.2015 – 10 UF 57/13; KG ZKJ 2015, 235–239; OLG Celle FamRZ 2008, 1369–1371). Denn ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang kann durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit bei dem Kind größeren Schaden verursachen als Nutzen. Eine Disqualifizierung eines sonach an sich beachtenswerten Kindeswillens ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn manipulierte Äußerungen des Kindes den wirklichen Bindungsverhältnissen nicht entsprechen und die Nichtbefolgung des Kindeswillens ihrerseits nicht wiederum zu seiner Kindeswohlgefährdung führt. Ferner kann der Kindeswille unbeachtlich sein, wenn dessen Befolgung seinerseits mit einer Gefahr für das Wohlergehen des Kindes verbunden wäre (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 1057; FamRZ 2001, 1057; KG FamRZ 2013, 709; KG v. 24.7.2013 – 13 UF 200/13; OLG Koblenz FamRZ 2014, 2010).
Beispiel:
Das OLG Saarbrücken verlangt zur zuverlässigen Ermittlung des wahren Willens eines 10-jährigen Kindes, das verbal einen Umgang mit dem nicht betreuenden Elternteil ablehnt, ein Sachverständigengutachten (§ 26 FamFG; OLG Saarbrücken FamRZ 2013, 48).
Die Klärung, worauf eine vom Kind erklärte Ablehnung von Umgangskontakten beruht und ob diese bei der Kindeswohlbetrachtung ausschlaggebend ist, muss bereits im Erkenntnisverfahren erfolgen und darf grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden (BGH FamRZ 2014, 732; BGH FamRZ 2012, 533).
2. Verpflichtungen des betreuenden Elternteils
Die Wohlverhaltensklausel (§ 1684 Abs. 2 BGB) beschränkt sich nicht nur auf ein passives Verhalten, sondern verlangt von dem Betreuenden auch, aktiv in erzieherisch geeigneter Weise auf das Kind einzuwirken, wenn dieses den Umgang ablehnt (OLG Hamm FamRZ 1996, 363; OLG Brandenburg FamRZ 1996, 1092).
Der aufgrund eines Umgangstitels zur Gewährung des Umgangs verpflichtete Elternteil muss gegenüber dem Kind, das einen Umgang mit dem umgangsberechtigten Elternteil verbal ablehnt, ebenso strenge Maßnahmen zur Herstellung der Umgangskontrolle ergreifen wie diejenigen, die er zum Zweck der Sicherstellung des Schulbesuchs des Kindes wählen würde und müsste, falls das Kind diesen verweigern würde (OLG Saarbrücken FamRZ 2015, 863–865).
3. Beachtlichkeit des Kindeswillens/Rechtsfolgen
Zwar reicht die Weigerung des Kindes regelmäßig nicht für einen Ausschluss des Umgangs aus, sondern ist durch geeignete Maßnahmen abzubauen. Allerdings ist vor allem bei älteren Kindern zu prüfen, ob eine nachhaltige also ernsthafte und nicht fremdbestimmte Umgangsverweigerung nicht einen Ausschluss des Umgangs – ggf. bis zur Volljährigkeit – rechtfertigt (KG FamRZ 2013, 709; OLG Hamm FamRZ 2009, 1423). Denn die wiederholte Ablehnung der verständig und konsequent geäußerten Wünsche des Kindes durch die Familiengerichte liegt grundsätzlich nicht in dessen Wohl (VerfG des Landes Brandenburg v. 24.1.2014 – 13/13, NZFam 2014, 473).
Beispiel:
So hat das BVerfG (BVerfG FamRZ 2013, 361) den Umgangsausschluss eines 13 Jahre alten und in einer Pflegefamilie lebenden Kindes nicht beanstandet, das Umgangskontakte mit den Eltern strikt ablehnte.
4. Fazit
Auch die umgangsberechtigten Elternteile müssen zu Kompromissen bereit sein:
- Je älter die Kinder sind, desto größer sind die – berechtigten – Eigeninteressen. Kinder haben auch einen engen Zeitrahmen durch lange tägliche ...