Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren regelt (s. dazu BT-Drucks 18/9534), ist bei den Sachverständigen im Grundsatz auf Zustimmung gestoßen. Bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses im Bundestag beschränkte sich ihre Kritik auf Einzelheiten.

Das vorgeschlagene "Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts" soll hauptsächlich eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Zudem sind Änderungen im Recht für ehrenamtliche Richter enthalten. Die Bundesregierung weist in dem Gesetzentwurf darauf hin, dass die Rechtslage in Deutschland schon weitgehend der EU-Richtlinie entspricht und daher vor allem Klarstellungen und nur wenige Änderungen vorgesehen sind.

Eine dieser Klarstellungen betrifft das Anwesenheitsrecht des Verteidigers schon bei der ersten polizeilichen Vernehmung. Die Polizei wird verpflichtet, aktiv bei der Suche eines Verteidigers zu helfen. Auch ist der Verteidiger bei einzelnen Ermittlungsschritten wie der Gegenüberstellung vorab zu informieren und zu beteiligen. Der Berliner Strafverteidiger Stefan Conen hob einerseits die Bedeutung dieser Regelung hervor und verwies auf Untersuchungen zu später revidierten Fehlurteilen, wonach Unschuldige vor allem infolge falscher Identifizierung verurteilt würden. Wichtiger als das Teilnahmerecht des Verteidigers sei aber, dass von diesen Vorgängen Videoaufzeichnungen angefertigt werden, die bei Zweifeln vor Gericht herangezogen werden könnten. Auch für andere Vorgänge im polizeilichen Ermittlungsverfahren, wie Belehrungen, sollten Aufzeichnungen vorgeschrieben werden. Bei Verfahrensfehlern trage der Beschuldigte die Beweislast, aber ohne Dokumentation könne er diesen Beweis kaum erbringen.

Der Vorsitzende Richter am BGH Rolf Raum warnte dagegen, die im Gesetzentwurf angelegte "zunehmende Formalisierung" der Verteidigerrechte würde "Verfahren schwerfälliger und ineffizienter machen". Ähnlich argumentierte der Marburger Oberstaatsanwalt Gert-Holger Willanzheimer. Die vorgesehene Verpflichtung, im Verlauf eines Ermittlungsverfahrens "jedes Mal aktiv den Verteidiger zu benachrichtigen", führe zu einer Verkomplizierung. Ausdrücklich begrüßte dagegen der Vertreter des Deutschen Anwaltvereins, Michael Rosenthal, die umfassenden Mitwirkungsrechte der Verteidiger im Ermittlungsverfahren. So werde "bei Tat-Rekonstruktionen unglaublich viel übersehen". Die Anwesenheit des Verteidigers könne hier helfen, Fehler zu vermeiden.

Gleich mehrere Sachverständige kritisierten eine vorgeschlagene Änderung des Jugendgerichtsgesetzes. Darin geht es um die Rechte festgenommener Jugendlicher und um die Pflicht, ihre Eltern zu benachrichtigen. Diese Benachrichtigung soll unterbleiben können, wenn – etwa im Fall krimineller Familien – durch die Benachrichtigung der Ermittlungserfolg gefährdet oder das Kindeswohl beeinträchtigt würde. Hier sehen Gutachter zum einen Widersprüche zwischen einem neu einzuführenden Paragrafen und einem weiterbestehenden alten. Zum anderen forderte der Passauer Rechtswissenschaftler Robert Esser für einen solch "weitgehenden Eingriff ins Elternrecht" genauere Regelungen und zeitliche Grenzen.

Die im Gesetzentwurf mit enthaltenen Änderungen im Schöffenrecht sollen es einerseits den Gemeinden erlauben, leichter genügend ehrenamtliche Richter zu finden, andererseits Schöffen besser vor Überlastung schützen. Andreas Kreutzer vom Deutschen Richterbund lobte daran insbesondere die Abschaffung einer Bestimmung, wonach Schöffen nach zwei fünfjährigen Amtszeiten einmal aussetzen müssen, und hob den Wert erfahrener Schöffen hervor. Auch dass die Vorschlagsliste für eine Schöffenwahl doppelt so viele Bewerber wie zu vergebende Ämter enthalten soll, begrüßte Kreutzer. Die vom Bundesrat vorgesehene Begrenzung auf das Eineinhalbfache (vgl. dazu ZAP Anwaltsmagazin 14/2016, S. 723) lehnte er unter Hinweis auf die demokratische Legitimation sowie auf notwendige Nachrücker für ausfallende Schöffen ab.

[Quelle: Bundestag]

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