Zu den für die Praxis bedeutsamsten Berufspflichten zählt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO i.V.m. § 3 BORA), das sogar strafrechtlich abgesichert ist (§ 356 StGB). Die Auslegung des Verbotstatbestands bereitet zahlreiche Schwierigkeiten (zu Einzelheiten Henssler/Deckenbrock NJW 2012, 3265 ff.; Henssler AnwBl 2013, 668 ff.). Die Praxis wird zusätzlich dadurch verunsichert, dass es mit der Regelung des § 45 BRAO eine weitere Norm gibt, die Tätigkeitsverbote zulasten des Anwalts vorsieht. Anders als § 43a Abs. 4 BRAO knüpft § 45 BRAO aber nicht an eine anwaltliche Vorbefassung an, sondern an eine vorherige Tätigkeit des Anwalts in derselben Angelegenheit in anderer Funktion. Die Regelung nennt beispielhaft die Vorbefassung als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar, Insolvenzverwalter, erfasst aber auch jede sonstige Tätigkeit außerhalb der Anwaltstätigkeit.
a) Verhältnis von § 43a Abs. 4 BRAO zu § 45 BRAO
Beide Tatbestände – § 43a Abs. 4 BRAO auf der einen und § 45 BRAO auf der anderen Seite – unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht: Anders als im Rahmen des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen, das einen konkreten Interessengegensatz zwischen den Parteien voraussetzt (BAG, Beschl. v. 25.8.2004 – 7 ABR 60/03; BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ [Brfg] 35/11 Rn 14), besteht ein Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltlicher Vorbefassung nach dem Wortlaut des § 45 BRAO unabhängig von einem solchen greifbaren Interessenkonflikt. Dies mag bei der Vorbefassung als Richter nicht weiter verwundern, wirft aber jedenfalls Fragen auf bei einer sonstigen Vortätigkeit wie etwa als Unternehmensberater. Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied betrifft die Reichweite der Tätigkeitsverbote in Sozietätskonstellationen. Während das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen bei Vorliegen des Einverständnisses der betroffenen Parteien i.d.R. nicht auf Sozietätssachverhalte erstreckt wird (vgl. § 3 Abs. 2 S. 2 BORA), sieht § 45 Abs. 3 BRAO eine solche Dispensmöglichkeit nicht vor, sondern ordnet die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf "die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung verbundenen oder verbunden gewesenen Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Berufe und auch insoweit einer von diesen im Sinne der Absätze 1 und 2 befaßt war" ohne jede Ausnahmemöglichkeit an. Der BGH hatte beide Besonderheiten des § 45 BRAO für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten und in diesem Zusammenhang auch betont, dass die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA im Rahmen des § 45 Abs. 3 BRAO unanwendbar sei (BGH, Urt. v. 3.11.2014 – AnwSt [R] 4/14; s. dazu Deckenbrock NJW 2015, 522 ff.).
Gegen diese weite Auslegung des § 45 BRAO durch den BGH hatte sich der betroffene Rechtsanwalt mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG gewandt. Der Umstand, dass das BVerfG zu diesen Fragen bei den Verbänden Stellungnahmen eingeholt hatte und DAV (Stellungnahme Nr. 68/2016) und BRAK (Stellungnahme Nr. 7/2017) die Verfassungsbeschwerde sogar für begründet erachtet hatten, ließ erwarten, dass sich die Richter detailliert mit den verfassungsrechtlichen Grenzen für ein Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltlicher Vorbefassung auseinandersetzen würden.
Die für Ende 2017 erwartete Entscheidung ist allerdings ausgeblieben, nachdem der Beschwerdeführer im Juli 2017 verstorben ist. Das BVerfG sprach insoweit nun mit Beschluss vom 24.10.2017 (Az. 1 BvR 1312/16) die Erledigung der Verfassungsbeschwerde aus, weil diese allein die Durchsetzung höchstpersönlicher, an seinen Status als Rechtsanwalt anknüpfende Rechte des Verstorbenen verfolgt habe (ausführlich dazu Deckenbrock AnwBl 2017, 1186 ff.).
b) Vertretung mehrerer Anleger
Eine interessante Fallkonstellation hatte der IX. Zivilsenat des BGH (Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 71/16, ZAP EN-Nr. 680/2017) zu entscheiden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nahm der Kläger die beklagte Anwaltssozietät wegen Verletzung vertraglicher Pflichten aus einem Anwaltsvertrag auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte, die auf die Beratung geschädigter Anleger spezialisiert ist, vertrat den Kläger gegenüber der S-AG (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde 2005 rechtskräftig zur Zahlung von etwa 23.500 EUR nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Am 23./27.12.2005 schloss die beklagte Sozietät namens des Klägers und namens weiterer Anleger mit der Schuldnerin eine Verpfändungsvereinbarung, welche Aktien der Schuldnerin an der G-AG betraf. Die Aktien wurden am 30.10.2006 verkauft. Der Erlös wurde auf ein Notaranderkonto gezahlt. Aufgrund eines Treuhandvertrags vom 30.10.2006 war der Notar verpflichtet, gegen eine Pfandfreigabeerklärung den Betrag von 4.982.000 EUR an die Beklagte für die von ihr vertretenen Anleger zu zahlen. Am 31.10.2006 überwies der Notar diesen Betrag an die Beklagte, die wiederum an den Kläger dessen Anteil i.H.v. 31.578,36 EUR weiterleitete. Am 7.4.2007 beantragte ein Gläubiger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver...