Die rechtsanwaltliche Verschwiegenheitspflicht (§ 43a Abs. 2 BRAO) geht mit einer entsprechenden Berechtigung zur Verschwiegenheit einher, die dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Mandat dient (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 BORA). Hieraus folgt nicht nur das aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO bekannte Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren. Vielmehr sind Rechtsanwälte auch im Abgabeverfahren gem. § 102 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AO berechtigt, die Auskunft über das zu verweigern, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwälte anvertraut oder bekannt geworden ist. Die Vorschrift gilt sowohl für eigene als auch fremde Steuersachen des Berufsträgers und umfasst sowohl die Identität des Mandanten als auch die Tatsache seiner Beratung. Hieraus können sich naturgemäß Spannungen zu den Bestrebungen der Steuerbehörden ergeben, die durch den Rechtsanwalt erbrachten Dienstleistungen adäquat zu besteuern.
Der BFH (Urt. v. 27.9.2017 – XI R 15/15, ZAP EN-Nr. 17/2018) hat nun einen Fall, in dem es um die Erbringung grenzüberschreitender Anwaltsleistungen im EU-Gebiet ging, im Sinne der Steuerbehörden entschieden. Im Streitfall erbrachte die klagende Rechtsanwaltsgesellschaft Leistungen aus anwaltlicher Tätigkeit an Unternehmer, die in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind. Weil der Ort der Leistungen somit nicht im Inland lag und die Leistungsempfänger bereits in ihrem Ansässigkeitsstaat Steuerschuldner für die von der Klägerin bezogenen Leistungen waren, erteilte die Klägerin Rechnungen ohne deutsche Umsatzsteuer. Die dann notwendige Abgabe der Zusammenfassenden Meldung mit Angabe der USt-ID-Nr. ihrer Mandanten verweigerte die Rechtsanwaltsgesellschaft allerdings unter Berufung auf die anwaltliche Schweigepflicht. Dieser Auffassung folgte der BFH nicht, sondern vertrat die Ansicht, dass der Mandant angesichts des ihm als Unternehmer als bekannt zu unterstellenden Systems der Besteuerung innergemeinschaftlicher Dienstleistungen mit der Mitteilung (Verwendung) der USt-ID-Nr. gegenüber dem leistenden Rechtsanwalt in die Offenbarung der USt-ID-Nr. in einer Zusammenfassenden Meldung (konkludent) eingewilligt habe.
Methodisch vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen. Bereits die sehr weitgehende Gleichstellung der Verwendung einer USt-ID-Nr. mit deren Mitteilung im hier maßgeblichen Sinne erscheint fragwürdig. Kritikwürdig ist aber vor allem die Annahme, der Mandant habe mit der Mitteilung zugleich in die Offenbarung der USt-ID-Nr. und damit seiner Identität und des Mandatsverhältnisses gegenüber den Steuerbehörden eingewilligt. Letztendlich wird die Einwilligung an dieser Stelle fingiert. Näher hätte es gelegen, vorliegend sauber zu prüfen, inwiefern das Bedürfnis nach einer EU-einheitlichen Besteuerung anwaltlicher Dienstleistungen hier eine Ausnahme von der anwaltlichen Schweigepflicht i.S.d. § 2 Abs. 2 BORA erfordert und ob diese Ausnahme in der die Zusammenfassende Meldung betreffenden Regelung des § 18a UStG zu sehen ist (vgl. zum "nationalen Interesse" an einer gleichmäßigen Umsatzsteuererhebung in der EU die Anmerkung von Treiber DStR 2017, 2615).