Eine interessante Fallkonstellation hatte der IX. Zivilsenat des BGH (Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR 71/16, ZAP EN-Nr. 680/2017) zu entscheiden. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt nahm der Kläger die beklagte Anwaltssozietät wegen Verletzung vertraglicher Pflichten aus einem Anwaltsvertrag auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte, die auf die Beratung geschädigter Anleger spezialisiert ist, vertrat den Kläger gegenüber der S-AG (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde 2005 rechtskräftig zur Zahlung von etwa 23.500 EUR nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Am 23./27.12.2005 schloss die beklagte Sozietät namens des Klägers und namens weiterer Anleger mit der Schuldnerin eine Verpfändungsvereinbarung, welche Aktien der Schuldnerin an der G-AG betraf. Die Aktien wurden am 30.10.2006 verkauft. Der Erlös wurde auf ein Notaranderkonto gezahlt. Aufgrund eines Treuhandvertrags vom 30.10.2006 war der Notar verpflichtet, gegen eine Pfandfreigabeerklärung den Betrag von 4.982.000 EUR an die Beklagte für die von ihr vertretenen Anleger zu zahlen. Am 31.10.2006 überwies der Notar diesen Betrag an die Beklagte, die wiederum an den Kläger dessen Anteil i.H.v. 31.578,36 EUR weiterleitete. Am 7.4.2007 beantragte ein Gläubiger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Das Verfahren wurde am 14.6.2007 eröffnet. Am 29.3.2010 focht der Insolvenzverwalter die Zahlung an den Kläger an. Der mittlerweile anderweitig anwaltlich vertretene Kläger zahlte nach Abschluss eines Vergleichs mit dem Verwalter insgesamt 18.921,87 EUR zur Masse zurück. Der Kläger ging daraufhin gegen die beklagte Sozietät gerichtlich vor und verlangte Schadensersatz insbesondere in Höhe des an die Masse gezahlten Betrags, weil diese seine Forderung nicht unverzüglich und anfechtungsfest im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben habe. Die beklagte Kanzlei wies den Vorwurf des pflichtwidrigen Unterlassens von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen dagegen mit der Begründung von sich, dass sie dann auch für die anderen mehr als 200 von ihr vertretenen Gläubiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hätte einleiten müssen und ein solches Vorgehen die sofortige Insolvenz der Schuldnerin zur Folge gehabt hätte. Maßnahmen, die dem Kläger genützt, anderen Mandanten aber hätten schaden können, seien daher nicht in Betracht gekommen.

Der IX. Senat widersprach diesem Vorbringen und sah eine anwaltliche Pflichtverletzung als schlüssig dargelegt an. Ein Rechtsanwalt, der mit der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung beauftragt worden ist und einen Titel gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt hat, habe zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die Insolvenz des Schuldners des Mandanten bevorstehe, müsse der Anwalt den Mandanten über das Risiko der fehlenden Insolvenzfestigkeit der im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit gem. § 88 InsO ebenso hinweisen wie auf die Anfechtbarkeit erhaltener Sicherheiten und Zahlungen gem. §§ 130, 131 InsO. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die beklagte Anwaltssozietät noch zahlreiche weitere Anleger vertreten habe. Nehme ein Anwalt ein Mandat an, erkläre er damit seine Bereitschaft, fortan die Interessen des Mandanten ohne Rücksicht auf die Interessen Dritter umfassend zu vertreten. Für konkurrierende Interessen Dritter gelte insoweit nichts anderes als für die gegenläufigen Interessen des Gegners des Mandanten. Wenn der Anwalt nur eingeschränkt für den Mandanten tätig werden wolle, habe er dies vor Abschluss des Vertrags klarzustellen und auf diesem Wege dem Mandanten die Möglichkeit zu eröffnen, selbst darüber zu entscheiden, ob er dies – etwa in der Erwartung besonderer Kompetenz des Anwalts oder einer besseren Verhandlungsposition gegenüber dem Gegner – hinnehmen oder ob er einen anderen, ausschließlich seinen – des Mandanten – eigenen Interessen verpflichteten Anwalt beauftragen möchte. Gleiches gelte, wenn sich nachträglich Interessenkonflikte abzeichnen, die nur ein eingeschränktes Tätigwerden des Anwalts erlauben.

Dass diese Entscheidung des BGH nicht in der Rubrik "Anwaltshaftung", sondern in diesem Abschnitt zu den "Tätigkeitsverboten" vorgestellt wird, liegt an den bemerkenswerten Ausführungen des Senats in Rn 18 zur Reichweite des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen. Widerstreitende Interessen und damit ein Tätigkeitsverbot sollen nämlich nach Ansicht des Senats nicht schon dann vorliegen, wenn der Rechtsanwalt sich gegenüber mehreren Mandanten verpflichtet, Forderungen gegen ein und denselben Schuldner durchzusetzen und insbesondere die Zwangsvollstreckung gegen diesen zu betreiben. In einem solchen Fall könne zwar der Erfolg des einen Mandanten den Misserfolg des anderen Mandanten, der nicht mehr zum Zuge gekommen ist, bedeuten. Das wäre aber nicht anders, wenn die Mandanten von unterschiedlichen Rechtsanwälten vertreten würd...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?