Schilder mit der Aufschrift "Eltern haften für ihre Kinder" sind auch weiterhin auf Baustellen, Spielplätzen und anderen öffentlichen oder privaten Einrichtungen vorzufinden. Diese "Drohung" ist irreführend, da Eltern für die von ihren Kindern angerichteten Schäden nur dann haften, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben (§ 832 BGB).
Diese Aufsichtsplicht endet spätestens mit der Volljährigkeit der Kinder. Der BGH hat jedoch in einer Entscheidung vom 30.3.2017 (I ZR 19/16, ZAP EN-Nr. 13/2018) Eltern zum Ersatz eines Schadens verurteilt, den eines ihrer volljährigen Kinder verursacht hatte. Was war geschehen?
Die Inhaberin der Verwertungsrechte eines Musikalbums hatte die Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung auf Schadenersatz in Anspruch genommen, weil von deren Internetanschluss Musiktitel im Wege des Filesharings öffentlich zugänglich gemacht worden waren.
Die Beklagten hatten sich darauf berufen, dass sie nicht selbst die Urheberrechtsverletzung vorgenommen hätten, vielmehr eines der im elterlichen Haushalt lebenden volljährigen Kinder, dessen Name jedoch nicht mitgeteilt werde.
Der BGH hat die beklagten Eltern zum Schadenersatz verurteilt, weil eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers spreche. Es sei von der sekundären Beweislast der Eltern auszugehen, die auch die Verpflichtung enthalte, den Namen des verantwortlichen volljährigen Kindes zu nennen.
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da die sekundäre Beweislast sich zunächst auf die Nachweise beschränkt, dass der Anschlussinhaber als Täter nicht in Betracht kommt.
Zwar mag im Einzelfall die sekundäre Beweislast auch zu der Verpflichtung führen, den tatsächlichen Täter zu benennen. Selbst wenn man dies für zulässig halten würde, findet die sekundäre Beweislast aber ihre Grenze, wenn andere Rechtsgüter entgegenstehen. Nahezu alle Rechtsordnungen sehen vor, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst oder nahe Familienangehörige zu belasten. Dieser Grundsatz beruht auf dem grundrechtlich garantierten Schutz der Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 7 EU-Grundrechtecharta und findet seinen Niederschlag im Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 383 ZPO und § 52 StPO.
Der BGH hat das Recht auf geistiges Eigentum gem. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 GG als vorrangig angesehen und die Eltern zum Schadenersatz verurteilt, obgleich diese den Schaden nicht verursacht hatten. Hier zeigt sich die Tendenz des BGH, immer mehr vom "nemo tenetur-Dogma" abzurücken, um einer Partei die Verpflichtung aufzuerlegen, den Prozessgegner in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch durchzusetzen (Zöller/Greger, ZPO, vor § 284 ZPO, Rn 34d m.w.N.).
Das Urteil des BGH vom 30.3.2017 führt zu einer Sippenhaftung und zu einer Gefährdungshaftung, die unsere Rechtsordnung nur bei Kraftfahrzeugen, Flugzeugen, Atomkraftwerken oder anderen gefährlichen Einrichtungen normiert.
Allein die Unterhaltung eines Internetanschlusses stellt noch keinen Gefährdungstatbestand dar. Es ist nicht hinnehmbar, dass das Eigentumsrecht als vorrangig gegenüber dem Schutz der Familie angesehen wird. Zwar sind Eigentum und Familie grundgesetzlich gleichermaßen geschützt, im Konfliktfall dürfte jedoch dem Schutz der Familie der Vorrang einzuräumen sein. Hier muss letztlich das Bundesverfassungsgericht Klarheit schaffen.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln
ZAP F., S. 49–49