Das Bundesverfassungsgericht kann nach § 32 BVerfGG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Hinweis:
Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, § 32 Abs. 2 BVerfGG.
Die einstweilige Anordnung ist in allen Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht statthaft (BVerfGE 55, 1, 3). Das Bundesverfassungsgericht muss nur grundsätzlich zur Entscheidung über den Streitfall berufen sein (BVerfGE 16, 214, 226). Grundsätzlich darf durch Erlass einer einstweiligen Anordnung die Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Ausnahmen gelten nur dort, wo eine Hauptsacheentscheidung zu spät käme und dem Antragsteller in anderer Weise ausreichender Rechtsschutz nicht mehr gewährt werden könnte. Ein Antragsteller muss ein besonderes, auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezogenes Rechtsschutzbedürfnis besitzen. Gerade die vorläufige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss erforderlich und geeignet sein, seine rechtlich geschützten Interessen zu wahren.
Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren in der Hauptsache anhängig ist. Es reicht aus, dass nachfolgend ein Hauptsacheantrag gestellt werden könnte, der nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.
Hinweis:
Solch ein isoliertes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird unter dem Aktenzeichen "BvQ" geführt; im Übrigen teilt ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Aktenzeichen des Hauptsacheverfahrens.
Ist bereits ein Hauptsacheverfahren anhängig, kann eine einstweilige Anordnung auch von Amts wegen ergehen. Der Prüfungsmaßstab ist im Eilverfahren ein anderer als im Hauptsacheverfahren. Entscheidend ist nicht die Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren, sondern eine Folgenabwägung: Die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, aber die Hauptsache Erfolg hätte, werden gegenüber den Nachteilen abgewogen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, die Hauptsache aber keinen Erfolg hätte. Etwas anderes gilt nur, wenn ein Hauptsacheverfahren von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist; dann kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung von vornherein nicht in Betracht ( www.bundesverfassungsgericht.de: Verfahren – Wichtige Verfahren – Einstweiliger Rechtsschutz).
Praxishinweis:
Da es bei der Prüfung im Eilverfahren auch um die offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit einer (möglichen) Verfassungsbeschwerde geht, sollte deshalb spätestens gleichzeitig mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. Ausführungen zur Erfolgsprognose gehören in die Verfassungsbeschwerde, Ausführungen zur Folgenprognose in den Eilantrag.
Einstweilige Anordnungen haben vor allem bei Grundrechtsverletzungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Varianten der Strafhaft Bedeutung erlangt. Diese Bedeutung folgt aus der Tatsache, dass einmal vollzogene Strafhaft nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (vgl. hierzu BVerfGE 8, 102 f.). Auch Auslieferungs- und Abschiebefälle sind wegen der i.d.R. nicht mehr zu beseitigenden Folgen ein Feld für einstweilige Anordnungen.
Eine einstweilige Anordnung bzw. deren Ablehnung ergeht durch Beschluss oder Urteil. Die Entscheidung muss begründet werden. Die einstweilige Anordnung tritt automatisch nach sechs Monaten außer Kraft. Eine wiederholende Entscheidung ist möglich, wenn sich dafür eine Zweidrittelmehrheit finden lässt, § 32 Abs. 6 BVerfGG. Bei fehlender Beschlussfähigkeit des an sich zuständigen Senats kann eine einstweilige Anordnung in besonders dringenden Fällen durch einstimmigen Beschluss von mindestens drei Richtern erlassen werden, die nach einem Monat außer Kraft tritt, § 32 Abs. 7 BVerfGG. Ergeht die Entscheidung durch Beschluss, kann grundsätzlich Widerspruch erhoben werden, der Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde hat allerdings kein Widerspruchsrecht, § 32 Abs. 3 BVerfGG. Ein Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung, das Gericht kann aber die Vollziehung aussetzen, § 32 Abs. 4 BVerfGG.
Praxishinweis:
Nach § 40 Abs. 3 GO-BVerfG werden bei Ablehnung der Annahme einer Verfassungsbeschwerde die in dieser Sache gestellten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.