Voraussetzung für die Beschränkung der Verwerfungskompetenz des Berufungsgerichts ist, dass der Angeklagte zu Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins von einem mit schriftlicher/nachgewiesener Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten wird. Der bevollmächtigte Verteidiger muss zu Beginn des Hauptverhandlungstermins erscheinen, wobei es sich anders als bisher nicht um die erste Berufungsverhandlung in der anhängigen Sache handeln muss und ggf. auch das Nichterscheinen in einem Fortsetzungstermin erfasst wird (BT-Drucks 18/3562, 68).
a) Erscheinen des Verteidigers
Für die Vertretung des Angeklagten in einem (Berufungs-)Hauptverhandlungstermin reicht es grundsätzlich aus, dass der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten erscheint, er also körperlich im Sitzungssaal anwesend ist. Eine ausdrückliche Erklärung des mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht erschienenen Verteidigers, dass er für den Angeklagten in dessen Abwesenheit verhandeln wolle, setzt § 329 Abs. 1 StPO nicht voraus, es ist lediglich die Bereitschaft des Verteidigers hierzu erforderlich (OLG Hamm StV 2018, 150 m. Hinw. auf BT-Drucks 18/3562, S. 69; OLG Oldenburg StV 2018, 148 m. Anm. Burhoff StRR 9/2017, 14; Spitzer StV 20116, 48, 50; unzutreffend a.A. OLG Jena StraFo 2016, 417). Der Verteidiger muss also weder an der Verhandlung mitwirken noch Erklärungen zur Sache abgeben; vielmehr kann er sich darauf beschränken, anwesend zu sein und damit zu erkennen zu geben, dass er bereit ist, von den Rechten des Angeklagten in der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen. Aus dem bloßen Schweigen des Verteidigers und dem Absehen von einer Antragstellung lässt sich nicht schließen, dass er nicht vertretungswillig ist; hierfür bedarf es vielmehr weiterer eindeutiger Indizien (KG StraFo 2010, 427; OLG Bremen StRR 2008, 148; OLG Oldenburg a.a.O.; Deutscher StRR 2015, 284) bzw. es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Verteidiger es gar nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will (OLG Hamm a.a.O.; OLG Oldenburg a.a.O.).
b) Vertretungsvollmacht
Vertreten werden muss der Angeklagte durch einen "Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht".
Hinweis:
Aus der Formulierung "Verteidiger" folgt, dass Vertreter des ausgebliebenen Angeklagten also nicht jeder Dritte sein kann und auch nicht ein als Beistand in der Berufungshauptverhandlung nach § 149 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO zugelassener Ehegatte, Lebenspartner oder gesetzliche Vertreter eines Angeklagten oder ein nach § 69 Abs. 1 JGG durch das Gericht bestellter Beistand für einen jugendlichen Angeklagten (BT-Drucks 18/3562, S. 6).
Vertreter kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur derjenige sein, den der Angeklagte nach § 138 Abs. 1 und 2 StPO auch als Verteidiger wählen kann (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl. 2019, Rn 4132 ff.). Dieser muss mit einer sog. Vertretungsvollmacht ausgestattet sein (wegen der Einzelheiten zur Vertretungsvollmacht Burhoff, HV, Rn 3557 ff.). Das gilt auch für den erschienenen Pflichtverteidiger. Die diesem ggf. zuvor als Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht ist mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger erloschen (BGH NStZ 1991, 94; OLG Celle NStZ 2013, 615; OLG Düsseldorf StV 2013, 299; OLG Hamm StRR 2012, 463; zfs 2014, 470; OLG München VRR 2010, 393; Spitzer StV 2016, 48, 49).
Der Verteidiger muss mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht des Angeklagten ausgestattet sein und diese vorweisen bzw. diese muss "nachgewiesen" sein (vgl. BT-Drucks 18/9416, S. 70; KG StRR 2015, 64 m. Anm. Hanschke zugleich auch zu den Anforderungen an die Revision; OLG Hamburg StV 2018, 151 [Ls.] m. Anm. Burhoff StRR 9/2017, 13; OLG Köln StraFo 2017, 237; vgl. auch – zum alten Recht – OLG Celle NStZ 2013, 615, 616; OLG Düsseldorf StV 2013, 299, 301; OLG Hamm StRR 2012, 463; OLG München NStZ 2013, 358 m. Anm. Gerst StRR 2013, 146; Mosbacher NStZ 2013, 312, 314).
Hinweis:
Nach h.M. (vgl. BayObLG NStZ 2002, 277; OLG Celle, Beschl. v. 20.1.2014 – 322 Ss Rs 24/13; OLG Dresden StRR 2013, 26; Meyer-Goßner/Schmitt, § 234 Rn 5; a.A. Mosbacher NStZ 2013, 312, 314; offen bei Hanschke StRR 2015, 64 Anm. zu KG StRR 2015, 64) genügte nach der Rechtsprechung zur § 329 StPO a.F. eine vom Verteidiger selbst aufgrund mündlicher Ermächtigung seines Mandanten unterzeichnete Vollmacht. Daran hat die Rechtsprechung zur Neuregelung (unter Hinweis auf die BT-Drucks 18/3562, S. 67) nicht festgehalten (vgl. KG StraFo 2018, 71; OLG Hamburg StV 2018, 151 [Ls.] m. Anm. Burhoff StRR 9/2017, 13; s. auch Spitzer StV 2016, 48, 49). Die Vollmacht kann sich aber aus einer schriftlichen Erklärung des Angeklagten gegenüber dem Gericht ergeben (BT-Drucks a.a.O.; Spitzer a.a.O.; so grundsätzlich auch OLG Köln StraFo 2017, 237). Nach Auffassung des OLG Köln (a.a.O.) reicht die Übermittlung per Telefax am Vortag der Hauptverhandlung nicht, wenn die schriftliche Vollmacht bis zu Beginn der Hauptverhandlung nicht zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist und vom Verteidiger in der Hauptverhandlung auch nicht ...