Auszugehen ist von folgenden Prüfungskriterien (vgl. auch Burhoff, HV, Rn 834): Die Prüfung der Erforderlichkeit der Anwesenheit muss sich allgemein zunächst an der Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) ausrichten, wobei materiell- und verfahrensrechtliche Kriterien von Bedeutung sein können (weitergehend auf der Grundlage des ursprünglichen Entwurfs "besondere Gründe" Frisch NStZ 2015, 73, wonach die Anwesenheit in aller Regel "unverzichtbar" sein soll; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 15; Sommer StV 2016, 55). Sehr weit geht das OLG Hamburg (StV 2018, 145), das die Anwesenheit des Angeklagten stets für erforderlich hält, wenn die Aufklärung irgendeines für die Schuld- und Straffrage bedeutsamen Umstandes in Rede steht.
Die Erforderlichkeit der Anwesenheit (vgl. auch Deutscher StRR 2015, 284; Spitzer StV 2016, 48, 53 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 36) kann sich etwa ergeben im Bereich der Beweisaufnahme, wenn es um die Gegenüberstellung des Angeklagten mit Zeugen oder Mitangeklagten geht (vgl. zu § 231a StPO entsprechend SK-StPO/Schlüchter, § 231a Rn 13). Dabei nimmt die Erforderlichkeit ab, je mehr andere Beweismittel, insbesondere Sachbeweise vorhanden sind. Die Anwesenheit des Angeklagten ist ebenfalls erforderlich, falls sich die Erklärungen des vertretungsberechtigten Verteidigers für den Angeklagten zur Sache als lückenhaft oder widersprüchlich erweisen. Sie ist auch anzunehmen, wenn es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von der Person des Angeklagten ankommt, etwa bei der Strafaussetzung zur Bewährung (zu § 329 Abs. 2 StPO a.F. OLG Hamm StV 1997, 346; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 21).
Hinweis:
Die Anwesenheit des Angeklagten wird umso eher erforderlich, je höher die Straferwartung ist (BT-Drucks 18/3562, S. 74). Umgekehrt werden in Bagatellverfahren an die Annahme der Erforderlichkeit geringere Anforderungen gestellt werden können.
Die Erforderlichkeit wird hingegen zu verneinen sein, wenn von der Anwesenheit des Angeklagten eine weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist (so schon zu § 329 Abs. 2 StPO a.F., u.a. OLG Stuttgart NStZ 1987, 377). Gleiches gilt, wenn es lediglich um Rechtsfragen geht, wie z.B. Verfahrenshindernisse, fehlende Verfahrensvoraussetzungen oder einen erstrebten Freispruch aus Rechtsgründen (Frisch NStZ 2015, 69, 71). Die Erforderlichkeit der Anwesenheit des Angeklagten entfällt aber nicht bereits dadurch, dass die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden ist oder wird.
Hinweis:
Auch wenn der vertretungsberechtigte Verteidiger den Angeklagten in Willen und Erklärung vertreten darf, wird man die Anwesenheit auch dann für erforderlich ansehen müssen, wenn eine Verständigung nach §§ 332, 257c StPO im Raum steht. Nur so lassen sich die vom BVerfG (vgl. NJW 2013, 1058 m. Anm. Deutscher StRR 2013, 179) statuierten Beteiligungsrechte des Angeklagten und der Schutz seiner Selbstbelastungsfreiheit gewährleisten (ähnlich Frisch NStZ 2015, 69, 73).