1. Allgemeines
§ 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–3 StPO regelt ausdrücklich die Fälle, in denen der Angeklagte zwar zu Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins (vgl. oben III. 3.) erschienen ist, danach aber ggf. die Voraussetzungen des "Ausbleibens" angenommen werden könnten, z.B., weil sich der Angeklagte aus der Hauptverhandlung entfernt (hat). Nach der Rechtsprechung zu § 329 Abs. 1 StPO a.F. durfte in diesen Fällen die Berufung (noch) nicht verworfen werden (OLG Celle StV 1994, 365 m.w.N. [Angeklagter klagt erst während seiner Vernehmung zur Sache über Unwohlsein und "würgt"]; OLG Frankfurt NJW 2005, 2169 [Ls.; Trunkenheit des Angeklagten]).
Diese Fälle sind durch § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1–3 StPO jetzt ergänzend zur Neufassung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ausdrücklich durch zwingende Verwerfungstatbestände geregelt. Ihnen ist gemeinsam, dass es nach Beginn des Hauptverhandlungstermins zu einer Verhinderung der Fortführung des Termins kommt. Dieser Katalog von Verwerfungstatbeständen ist, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, in der Literatur als "überkompliziert" bezeichnet worden (so Frisch NStZ 2015, 69, 71, 72; krit. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 16 ff.). Im Grunde handelt es sich aber um eine im Kern folgerichtige Übertragung des in § 329 Abs. 1 S. 1 StPO normierten Prinzips auf Sachverhalte, die nach Beginn des Berufungshauptverhandlungstermins in gleicher Weise deren Durchführung hindern (s. auch Deutscher StRR 2015, 284; abl. hingegen Frisch NStZ 2015, 69, 71 f., 74). Sie erfassen nämlich entweder ein Desinteresse des Angeklagten am Abschluss des Verfahrens (vgl. nachstehend Nr. 2, 3 sowie Nr. 1 bei Widerruf der Vollmacht seines Verteidigers) oder ein Verhalten des Verteidigers, das sich der Angeklagte aufgrund der erteilten Vertretungsmacht grundsätzlich zurechnen lassen muss (krit. insoweit Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 16).
2. Verwerfungsfälle
Nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn sich bei unentschuldigt abwesendem Angeklagten (vgl. dazu Teil 2, in: ZAP F. 22, S. 962 [III.]) der Verteidiger unentschuldigt entfernt hat oder den Angeklagten nicht (weiter) vertritt. Letzteres betrifft zum einen den auch formlos möglichen Widerruf der Vollmacht durch den Angeklagten, zum anderen die Niederlegung des Mandats durch den Verteidiger oder seine Erklärung, den Angeklagten nicht weiter vertreten zu können oder zu wollen (Deutscher StRR 2015, 284; Spitzer StV 2016, 48, 51 f.; zur Vertretung des Angeklagten durch den Verteidiger s. unten V.).
Nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ist die Berufung zu verwerfen, wenn sich der Angeklagte unentschuldigt entfernt hat und kein vertretungsbevollmächtigter Verteidiger (vgl. unten V.) anwesend ist. Statt wie früher eine Weiterverhandlung in Abwesenheit zu führen (§ 231 Abs. 1 StPO), hat nunmehr die Verwerfung der Berufung zu erfolgen. Entsprechendes gilt, wenn der Angeklagte nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem "Fortsetzungstermin" nicht wieder erscheint (Meyer-Goßner/Schmitt, § 328 Rn 17; a.A. wohl aber offen, OLG Nürnberg StRR 8/2018, 3 [Ls.]; zum verspäteten Erscheinen OLG Bamberg VRR 2012, 276 für das Bußgeldverfahren) und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht anwesend ist (Spitzer StV 2016, 48, 52). Die Berufung des zum Fortsetzungstermin (zunächst) erschienenen Angeklagten kann, wenn ein vertretungsberechtigter Verteidiger anwesend ist, dann aber nicht nach § 329 Abs. 4 S. 2 StPO verworfen werden, wenn sich der Angeklagte im Laufe des Fortsetzungstermins ohne genügende Entschuldigung entfernt (OLG Hamburg StraFo 2018, 69).
Nach § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StPO ist die Berufung schließlich zu verwerfen, wenn sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen die Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat, und kein vertretungsbevollmächtigter Verteidiger (vgl. unten V.) anwesend ist. Auch hier hat statt einer Abwesenheitsverhandlung (§ 231a Abs. 1 StPO) die Verwerfung zu erfolgen. Der Zustand der Verhandlungsunfähigkeit kann auch erst während der Verhandlung eintreten oder sich herausstellen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn 18; Spitzer StV 2016, 48, 52 f.). Erfasst werden hier insbesondere die Fälle der Trunkenheit (BGHSt 23, 331; zum früheren Recht a.A. OLG Celle StV 1994, 365).
Hinweis:
Die Verwerfung nach Nr. 3 kann nach § 329 Abs. 2 S. 3 StPO nur nach Anhörung eines Arztes als Sachverständigen erfolgen.