Nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO a.F. war die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem OLG oder dem LG stattfand. Nunmehr sind auch Verfahren vor dem Schöffengericht erfasst. Dies dürfte praktisch keine allzu großen Auswirkungen haben, da vor dem Schöffengericht aufgrund dessen Zuständigkeit für Verbrechen bzw. für Strafsachen mit einer Straferwartung von mehr als zwei Jahren auch nach bisheriger Rechtslage regelmäßig ein Verteidiger beizuordnen war.
Von deutlich größerer Relevanz dürfte dagegen die zweite Änderung sein, die § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO erfahren hat: Während bisher ausschlaggebend war, bei welchem Gericht das Hauptverfahren letztlich eröffnet wurde, ist eine Beiordnung nach neuem Recht früher erforderlich, nämlich bereits dann, wenn "zu erwarten" ist, dass die Hauptverhandlung (mindestens) vor dem Schöffengericht stattfinden wird.
Der Gesetzgeber vollzieht hiermit einen Perspektivenwechsel, weg von der Hauptverhandlung hin zum Ermittlungsverfahren. Dieser soll auch dadurch verdeutlicht werden, dass die Möglichkeit einer früheren Verteidigerbestellung nicht mehr wie bisher in § 141 Abs. 3 StPO (nach Auffassung des Gesetzgebers eine "versteckte" Stelle, BT-Drucks 19/13829, S. 32) geregelt wird, sondern in § 140 Abs. 1 StPO.
a) Verbrechensverdacht
Eine Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht oder "höher" wird insb. zu erwarten sein, wenn der Beschuldigte eines Verbrechens verdächtig ist.
Hinweis:
Hierfür kann ein Anfangsverdacht genügen (BT-Drucks 19/13829, S. 32). Man wird also, etwa wenn der Verdacht des räuberischen Diebstahls entstanden ist, einem Beiordnungsantrag nicht entgegenhalten können, dass die Ermittlungen noch am Anfang stünden und erst noch geprüft werden müsse, ob nicht doch nur ein "einfacher" Diebstahl vorliegt. Dies ist sachgerecht, kann doch gerade in dieser Phase des Verfahrens die Mitwirkung eines Verteidigers für den Beschuldigten von entscheidender Bedeutung sein. Lässt sich der entstandene Verdacht bereits hier entkräften, können u.U. eingriffsintensive Zwangsmaßnahmen sowie eine belastende und kostenträchtige Hauptverhandlung vermieden werden. Allerdings kann bei einem späteren Wegfall des Verbrechensverdachts die Rücknahme der Beiordnung in Betracht kommen (§ 143 Abs. 2 S. 1 StPO n.F).
b) Vergehen
Wird dem Beschuldigten dagegen lediglich ein Vergehen zur Last gelegt, liegt die Zuständigkeit des Schöffengerichts oder gar des LG/OLG nicht auf der Hand. Die Prognose, wo die Anklage letztlich erhoben werden wird, wird in diesen Fällen in aller Regel erst nach einer gewissen Ermittlungstätigkeit und nicht vor der ersten Vernehmung des Beschuldigten, sondern in einer späteren Phase des Ermittlungsverfahrens getroffen werden können. Insbesondere werden Art und Umfang der Tat, ggf. einschließlich persönlicher Umstände des Angeklagten (Vorstrafen) bereits so klar umrissen sein müssen, dass dies die Erwartung stützt, der Fall werde nicht vor dem Strafrichter verhandelt werden (BT-Drucks 19/13829, a.a.O.).
Hinweis:
Ist noch nicht ersichtlich, dass letztlich (mindestens) das Schöffengericht zuständig sein wird, kann es sich empfehlen, einen Beiordnungsantrag vorerst zurückzustellen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Verteidiger belastende Umstände, denen seitens der Ermittlungsbehörden noch keine Bedeutung beigemessen wird oder die ihnen noch gar nicht bekannt sind, in der Antragsbegründung selbst herausarbeitet und so letztlich dem eigenen Mandanten schadet.